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LANGVERSION INTERVIEW MIT THE VINTAGE CARAVAN AUS DEM DEZEMBERHEFT

Auf ihrer Facebook Seite findet man unter Einflüsse große Namen wie Black Sabbath, Cream und Deep Purple. Und genau diese Einflüsse hört man. Mit 10 Jahren haben sich Oskar und Gudjon das erste Mal die Instrumente geschnappt. In einem Alter in dem viele den Kinderschuhe gerade entwachsen sind, strebten beide schon auf die Bühne. Neun Jahre später ist die blutjunge isländische Retro-Rock Band, The Vintage Caravan, genau dort angekommen. Im Interview erzählten sie uns, woher ihre "Fuck it"-Attitüde kommt, welche Rolle ihre Familien spielen und wieso sie sich weitab der elektronischen Klänge Reykjaviks bewegen. In .rcn 174 haben wir bereits kurz und knapp über die isländische Band berichtet, hier gibt es jetzt die Langversion.
LANGVERSION INTERVIEW MIT THE VINTAGE CARAVAN AUS DEM DEZEMBERHEFT

Typisch für Island ist, das nichts typisch ist. Erst machen Acts wie Sugarcubes, Björk oder Sigur Ros sphärischen, leicht verrückten Elektro-Pop zum Trademark der dortigen Bandszene. Dann kommt eine Band wie Minus und zertrampelt alle Klischees mit knallhartem Eisberg-Stonerrock zu Staub. Dann gibts ein bisschen Disco mit Weltmusik-Elementen mit Belfast FM oder Retro Stefson. Und jetzt steht mit The Vintage Caravan eine Band in den Startlöchern, die klingt, als hätte sie sich bei der Mini-Playback-Show ein paar Tracks aus dem Plattenschrank ihrer haschrauchenden Hippie-Eltern gewünscht. Diese Jungs haben ihre Fertigkeiten in unzähligen Stunden im Proberaum und auf Bühnen von Kneipen oder Bars verfeinert und konnten inzwischen einen weltweiten Plattendeal an Land ziehen.

Tatsächlich haben Sänger und Gitarrist Oskar Logi und Schlagzeuger Gudjon Reynisson The Vintage Caravan vor sieben Jahren gegründet. Damals waren die beiden gerade mal 12 Jahre alt. Sportliche zwei Jahre zuvor hatten sie sich zum ersten Mal die Instrumente geschnappt und separat voneinander autodidaktisch gelernt, damit umzugehen. "Unsere Eltern sind keine Musiker, aber sie haben uns immer massiv unterstützt", erzählt Oskar. "Seit wir 14 Jahre alt waren, waren sie immer mit uns unterwegs, als wir viel in isländischen Kneipen gespielt haben. Mein Vater ist unser wichtigster Roadie. Einfach, weil er gerne ein Teil des ganzen Projekts sein will. Wir hatten also immer Rückhalt in unseren Familien."



Alex Örn - der dritte im Bunde - ist wenige Jahre nach der Gründung eingestiegen und spielt Bass. Oskar arbeitet aktuell im Kindergarten, Alex als Bauarbeiter und Gudjon macht gerade die Schule fertig, deshalb können sie praktisch sofort auf Tour gehen. "Unser Debütalbum "Voyage", das Nuclear Blast im Januar veröffentlicht, wurde in Island schon 2012 von Sena, dem größten Label des Landes, veröffentlicht", erklärt Oskar. "Wir sind nicht mehr mit diesen Jungs im Geschäft, seit wir einen Vertrag mit Nuclear Blast haben. Aber es ist gut, diesen Rückhalt in Island zu haben. Bei Nuclear Blast zu sein ist natürlich großartig, fast schon unreal. Wir wären nicht in einer Million Jahren auf die Idee gekommen, Bands wie Witchcraft, Orchid oder Graveyard als Labelmates zu haben. All diese Bands, zu denen wir seit Jahren aufschauen."

The Vintage Caravan haben bislang genau ein Konzert außerhalb von Island gespielt: Das globale Finale von "Battle Of The Bands" in London. Sonst waren sie nur auf der Insel unterwegs, haben sich dort aber längst einen Kultstatus erspielt, obwohl sie in den Kneipen offiziell noch nicht mal Alkohol trinken dürfen. "Das Iceland Airwaves Festival war sehr wichtig für uns, vor allem wegen der riesigen Party an diesem Wochenende und den vielen Menschen aus aller Welt, die man dann kennenlernt", erklärt Oskar das wichtigste Event der Insel. "Egal ob aus der Musikindustrie oder von anderen Bands. Das Festival hat bestimmt eine ganz wichtige Rolle gespielt, die gesamte Musikszene des Landes bekannter zu machen. Aber unseren Durchbruch haben wir nicht dem Airwaves zu verdanken, sondern dem Eistnaflug-Festival auf der anderen Seite des Landes. Das ist die beste Heavy-Party der Welt!"

Dabei ist die Heavy-Szene in Island im Vergleich zu anderen europäischen Ländern mikroskopisch klein. Die meisten Bands kennt man bei uns kaum, mit Ausnahme von Minus oder Brain Police. "Die neueren Bands schaffen immer besser eine Verbindung zwischen dem Mainstream und den Metal-Fans, die eher im Underground zuhause sind. Ich denke, inzwischen gehen die Leute immer mehr zu Heavy Metal-Konzerten und das ist großartig für alle. Wenn Du Musiker aus der isländischen Heavy-Szene treffen willst, musst Du in Läden wie das Dillon oder das Gaukurinn in Reykjavik gehen. Dort ist es großartig!"

The Vintage Caravan selbst passen ideal in die mächtige Retro-Welle, die momentan durch ganz Europa schwappt. Die drei Teenies aus Island klingen wie eine Mischung aus Led Zeppelin, Black Sabbath, Cream, Jimi Hendrix oder Deep Purple. Bands, die sie aus den Plattenschränken ihrer Eltern kennen. "Wir sind mit dieser Musik einfach aufgewachsen", sagt Oskar. "Es ist wahrscheinlich die Musik, die uns als Menschen am besten definiert und gleichzeitig ist es so verschieden im Vergleich zu der Musik, die gerade populär ist. Wenn die Leute Bands wie uns hören, denken sie sofort an den Sound der Siebziger Jahre. Wir haben alle eine Menge dieser Platten gehört und wir entdecken immer noch neue "alte" Sachen." Während sich also die Hipster in den meisten Clubs von Reykjavik zu elektronischen Klängen austoben, machen The Vintage Caravan etwas völlig anderes. Dass man in Europa relativ sicher einen Plattenvertrag mit sphärischen Klängen im Stil von Sigur Ros, Mum oder Björk abstauben kann, interessiert Oskar, Alex und Gudjon nicht die Bohne.


"Die atemberaubende Landschaft in Island hatte natürlich auch einen Einfluss auf unseren Sound", gibt Oskar zu. "Noch viel mehr aber ist es die Einstellung der Leute hier. In Island wohnen sehr spezielle Menschen, mit einer gewissen "Fuck it"-Attitüde. Das ermutigt uns, neue Sachen auszuprobieren und einen Scheiß darauf zu geben, wie andere darüber denken." Deshalb haben The Vintage Caravan mit "Expand Your Mind" auch ein grandios-bizarres Video ins Netz gestellt, in dem riesige Fliegenpilze in einem Hinterhof vo Reykjavik wuchern. Klingt nach ersten Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden oder psychoaktiven Substanzen. "An Drogen heranzukommen ist geradezu lächerlich einfach in Island. Ohne es zu wissen, ist wohl jeder normale Isländer vermutlich nur zwei Telefonanrufe von jeder denkbaren Droge entfernt." Und das obwohl in Island jeder jeden kennt. Die ganze Insel hat gerade mal ein paar mehr Einwohner als Augsburg.

Aber auf Island ist alles anders: Jeder zweite hat schon ein Buch geschrieben, bevorzugt Krimis, die in anderen Ländern Europas spielen. Denn in Island kann sich ein Verbrecher praktisch nicht verstecken. In der Hauptstadt Reykjavik gibt es beheizte Gehsteige und international gebräuchliche Wörter werden umgehend durch isländische Wortschöpfungen ersetzt. Telefon heißt schlicht Drähte, zu CD sagt man übersetzt Strahlenteller und ein Computer ist in Island eine Rechenhexe. Überhaupt spielen übernatürliche Wesen in Island eine große Rolle. Das weiß auch Oskar. "Ich bin schon mal von einer Gruppe Elfen als Geisel genommen worden, also wissen wir, dass es sie gibt", sagt er und lacht.

Weniger lustig war für viele Isländer der große Finanzcrash im Jahr 2008. Der gesamte Bankensektor wurde verstaatlicht, die isländische Krone brutal abgewertet. Für viele Familien der Ruin. "Ich denke die Menschen in Island haben sich inzwischen größtenteils vom Finanz-Crash erholt. Obwohl es natürlich immer noch Einzelschicksale gibt, die länger brauchen. Ich kann mich erinnern, wie alle plötzlich sehr gestresst waren und auf einmal niemand mehr Geld hatte. Aber wir in der Band und unsere Familien hatten es noch vergleichsweise gut während der Krise. Für viele Familien war es eine schwere Zeit."

Dazu beigetragen hat neben dem florierenden Tourismus vor allem die Fischerei, dass sich die Insel vom Bankrott so schnell erholt hat. Gleichzeitig ist dieser traditionelle Wirtschaftszweig auch derjenige, für den die Inselbewohner knapp unterhalb des Polarkreises am heftigsten kritisiert werden. Denn in Island werden immer noch Wale gefangen und verwertet. "Wir haben natürlich alle schon mal irgendwann Walfleisch probiert", gibt Oskar zu. "Schmeckt nicht besonders, einfach nach Wal, schätze ich. Unser Schlagzeuger Gudjon arbeitet sogar ab und zu auf einem Whale Watching-Boot. Diese große Wale fressen eine Menge von unserem Fisch, deshalb ist es für die Fischfang-Industrie notwendig geworden, sie zu jagen. Wir entschuldigen uns natürlich an dieser Stelle für Island, aber bei uns ist das keine große Sache." Das sieht Greenpeace sicher anders.

Wolfram Hanke