Typisch für Island ist, das nichts typisch ist. Erst machen
Acts wie Sugarcubes, Björk oder Sigur Ros sphärischen, leicht
verrückten Elektro-Pop zum Trademark der dortigen Bandszene.
Dann kommt eine Band wie Minus und zertrampelt alle Klischees
mit knallhartem Eisberg-Stonerrock zu Staub. Dann gibts ein
bisschen Disco mit Weltmusik-Elementen mit Belfast FM oder
Retro Stefson. Und jetzt steht mit The Vintage Caravan eine
Band in den Startlöchern, die klingt, als hätte sie sich bei
der Mini-Playback-Show ein paar Tracks aus dem Plattenschrank
ihrer haschrauchenden Hippie-Eltern gewünscht. Diese Jungs
haben ihre Fertigkeiten in unzähligen Stunden im Proberaum und
auf Bühnen von Kneipen oder Bars verfeinert und konnten
inzwischen einen weltweiten Plattendeal an Land ziehen.
Tatsächlich haben Sänger und Gitarrist Oskar Logi und
Schlagzeuger Gudjon Reynisson The Vintage Caravan vor sieben
Jahren gegründet. Damals waren die beiden gerade mal 12 Jahre
alt. Sportliche zwei Jahre zuvor hatten sie sich zum ersten Mal
die Instrumente geschnappt und separat voneinander
autodidaktisch gelernt, damit umzugehen. "Unsere Eltern sind
keine Musiker, aber sie haben uns immer massiv unterstützt",
erzählt Oskar. "Seit wir 14 Jahre alt waren, waren sie immer
mit uns unterwegs, als wir viel in isländischen Kneipen
gespielt haben. Mein Vater ist unser wichtigster Roadie.
Einfach, weil er gerne ein Teil des ganzen Projekts sein will.
Wir hatten also immer Rückhalt in unseren Familien."
Alex Örn - der dritte im Bunde - ist wenige Jahre nach der
Gründung eingestiegen und spielt Bass. Oskar arbeitet aktuell
im Kindergarten, Alex als Bauarbeiter und Gudjon macht gerade
die Schule fertig, deshalb können sie praktisch sofort auf Tour
gehen. "Unser Debütalbum "Voyage", das Nuclear Blast im Januar
veröffentlicht, wurde in Island schon 2012 von Sena, dem
größten Label des Landes, veröffentlicht", erklärt Oskar. "Wir
sind nicht mehr mit diesen Jungs im Geschäft, seit wir einen
Vertrag mit Nuclear Blast haben. Aber es ist gut, diesen
Rückhalt in Island zu haben. Bei Nuclear Blast zu sein ist
natürlich großartig, fast schon unreal. Wir wären nicht in
einer Million Jahren auf die Idee gekommen, Bands wie
Witchcraft, Orchid oder Graveyard als Labelmates zu haben. All
diese Bands, zu denen wir seit Jahren aufschauen."
The Vintage Caravan haben bislang genau ein Konzert außerhalb
von Island gespielt: Das globale Finale von "Battle Of The
Bands" in London. Sonst waren sie nur auf der Insel unterwegs,
haben sich dort aber längst einen Kultstatus erspielt, obwohl
sie in den Kneipen offiziell noch nicht mal Alkohol trinken
dürfen. "Das Iceland Airwaves Festival war sehr wichtig für
uns, vor allem wegen der riesigen Party an diesem Wochenende
und den vielen Menschen aus aller Welt, die man dann
kennenlernt", erklärt Oskar das wichtigste Event der Insel.
"Egal ob aus der Musikindustrie oder von anderen Bands. Das
Festival hat bestimmt eine ganz wichtige Rolle gespielt, die
gesamte Musikszene des Landes bekannter zu machen. Aber unseren
Durchbruch haben wir nicht dem Airwaves zu verdanken, sondern
dem Eistnaflug-Festival auf der anderen Seite des Landes. Das
ist die beste Heavy-Party der Welt!"
Dabei ist die Heavy-Szene in Island im Vergleich zu anderen
europäischen Ländern mikroskopisch klein. Die meisten Bands
kennt man bei uns kaum, mit Ausnahme von Minus oder Brain
Police. "Die neueren Bands schaffen immer besser eine
Verbindung zwischen dem Mainstream und den Metal-Fans, die eher
im Underground zuhause sind. Ich denke, inzwischen gehen die
Leute immer mehr zu Heavy Metal-Konzerten und das ist großartig
für alle. Wenn Du Musiker aus der isländischen Heavy-Szene
treffen willst, musst Du in Läden wie das Dillon oder das
Gaukurinn in Reykjavik gehen. Dort ist es großartig!"
The Vintage Caravan selbst passen ideal in die mächtige
Retro-Welle, die momentan durch ganz Europa schwappt. Die drei
Teenies aus Island klingen wie eine Mischung aus Led Zeppelin,
Black Sabbath, Cream, Jimi Hendrix oder Deep Purple. Bands, die
sie aus den Plattenschränken ihrer Eltern kennen. "Wir sind mit
dieser Musik einfach aufgewachsen", sagt Oskar. "Es ist
wahrscheinlich die Musik, die uns als Menschen am besten
definiert und gleichzeitig ist es so verschieden im Vergleich
zu der Musik, die gerade populär ist. Wenn die Leute Bands wie
uns hören, denken sie sofort an den Sound der Siebziger Jahre.
Wir haben alle eine Menge dieser Platten gehört und wir
entdecken immer noch neue "alte" Sachen." Während sich also die
Hipster in den meisten Clubs von Reykjavik zu elektronischen
Klängen austoben, machen The Vintage Caravan etwas völlig
anderes. Dass man in Europa relativ sicher einen Plattenvertrag
mit sphärischen Klängen im Stil von Sigur Ros, Mum oder Björk
abstauben kann, interessiert Oskar, Alex und Gudjon nicht die
Bohne.
"Die atemberaubende Landschaft in Island hatte natürlich auch
einen Einfluss auf unseren Sound", gibt Oskar zu. "Noch viel
mehr aber ist es die Einstellung der Leute hier. In Island
wohnen sehr spezielle Menschen, mit einer gewissen "Fuck
it"-Attitüde. Das ermutigt uns, neue Sachen auszuprobieren und
einen Scheiß darauf zu geben, wie andere darüber denken."
Deshalb haben The Vintage Caravan mit "Expand Your Mind" auch
ein grandios-bizarres Video ins Netz gestellt, in dem riesige
Fliegenpilze in einem Hinterhof vo Reykjavik wuchern. Klingt
nach ersten Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden oder
psychoaktiven Substanzen. "An Drogen heranzukommen ist geradezu
lächerlich einfach in Island. Ohne es zu wissen, ist wohl jeder
normale Isländer vermutlich nur zwei Telefonanrufe von jeder
denkbaren Droge entfernt." Und das obwohl in Island jeder jeden
kennt. Die ganze Insel hat gerade mal ein paar mehr Einwohner
als Augsburg.
Aber auf Island ist alles anders: Jeder zweite hat schon ein
Buch geschrieben, bevorzugt Krimis, die in anderen Ländern
Europas spielen. Denn in Island kann sich ein Verbrecher
praktisch nicht verstecken. In der Hauptstadt Reykjavik gibt es
beheizte Gehsteige und international gebräuchliche Wörter
werden umgehend durch isländische Wortschöpfungen ersetzt.
Telefon heißt schlicht Drähte, zu CD sagt man übersetzt
Strahlenteller und ein Computer ist in Island eine Rechenhexe.
Überhaupt spielen übernatürliche Wesen in Island eine große
Rolle. Das weiß auch Oskar. "Ich bin schon mal von einer Gruppe
Elfen als Geisel genommen worden, also wissen wir, dass es sie
gibt", sagt er und lacht.
Weniger lustig war für viele Isländer der große Finanzcrash im
Jahr 2008. Der gesamte Bankensektor wurde verstaatlicht, die
isländische Krone brutal abgewertet. Für viele Familien der
Ruin. "Ich denke die Menschen in Island haben sich inzwischen
größtenteils vom Finanz-Crash erholt. Obwohl es natürlich immer
noch Einzelschicksale gibt, die länger brauchen. Ich kann mich
erinnern, wie alle plötzlich sehr gestresst waren und auf
einmal niemand mehr Geld hatte. Aber wir in der Band und unsere
Familien hatten es noch vergleichsweise gut während der Krise.
Für viele Familien war es eine schwere Zeit."
Dazu beigetragen hat neben dem florierenden Tourismus vor
allem die Fischerei, dass sich die Insel vom Bankrott so
schnell erholt hat. Gleichzeitig ist dieser traditionelle
Wirtschaftszweig auch derjenige, für den die Inselbewohner
knapp unterhalb des Polarkreises am heftigsten kritisiert
werden. Denn in Island werden immer noch Wale gefangen und
verwertet. "Wir haben natürlich alle schon mal irgendwann
Walfleisch probiert", gibt Oskar zu. "Schmeckt nicht besonders,
einfach nach Wal, schätze ich. Unser Schlagzeuger Gudjon
arbeitet sogar ab und zu auf einem Whale Watching-Boot. Diese
große Wale fressen eine Menge von unserem Fisch, deshalb ist es
für die Fischfang-Industrie notwendig geworden, sie zu jagen.
Wir entschuldigen uns natürlich an dieser Stelle für Island,
aber bei uns ist das keine große Sache." Das sieht Greenpeace
sicher anders.
Wolfram Hanke