CHRIS CORNELL
HIGHER TRUTH
UME DIRECT 2 / UNIVERSAL
Ich war auf das schlimmste gefasst. Chris Cornell! Die Stimme
von Soundgarden, die mit „Black Hole Sun“ einer ganzen
Generation ihre Ballade für ewig mit auf den Weg gaben
veröffentlichte Mitte September wieder ein Soloalbum. Außer für
erinnerungswürdige Filmmusik stand der ehemalige
Vorzeige-Grunger nach Soundgarden bei mir eher für gepflegte
musikalische Langeweile, die Alben hatten meist nur einen
wirklichen Hit, und der war irgendwie besser bei der
Shampoo-Werbung aufgehoben als in meinem CD-Player. Das von mir
gesehene Konzert mit Soundgarden im Juni 2012 war auch eher von
einer gepflegten Langeweile gepflegt, Cornell drahtete damals
eher, dass er nur wegen des Geldes jetzt da oben auf der
Centerstage stehen würde. Jetzt aber hat der als Christopher
John Boyle der Sohn eines Apothekers in Seattle geborene
US-Amerikaner mit Hilfe des bekannten Produktionstherapeuten
und Hitmachers Brendan O'Brien endlich die Kurve gekriegt und
ein wirklich schönes und wertiges Album heraus gebracht. Mehr
Folk als Rock, mehr Atmosphäre als Glamour, kein schielen auf
die Charts ist spürbar, sondern das, was ein Künstler beim
musizieren ja eigentlich auf dem Schirm haben sollte: Menschen
glücklich zu machen. Und mit seiner unvergleichlich markanten
Stimme wird Cornell eine ganze Menge Menschen glücklich machen!
Vorzugsweise Frauen natürlich. Aber auch verdammt viele Leute,
die einfach erdige Songwriter-Musik mit einem fundierten Sänger
mit Charisma schätzen. Cornell überschreitet auf der neuen
Scheibe wohltuend selten die berühmte Schmerzgrenze, wo eine
Ballade kitschig zu werden beginnt und in einen
Stadionrock-Feuerzeug-Schwenksong abdriftet. Etwas mehr
instrumentale Abwechslung hätte ich mir aber schon gewünscht,
für Musiker ist die Scheibe aber vorwiegend wegen der dezent
eingesetzten Akustikgitarre interessant. Als ich daheim aber
neulich mal wieder eine der späten Pearl Jam Scheiben heraus
kramte, war der soeben wieder gewachsene Respekt vor Cornell
flugs wieder ein zartes Pflänzchen. Eddie Vedder & Co.
waren unter den großen drei aus Seattle halt doch einfach
unerreichte Götter, deren Balladen mich stehts mehr berührten,
als Cornell das jemals vermochte. Inklusive dieser trotzdem
feinen Scheibe.
5 von 9 Punkten
EF