NIGHTWISH
ENDLESS FORMS MOST BEAUTIFUL
NUCLEAR BLAST / WARNER
Die Vorabsingle "Élan" empfand ich bei den ersten paar
Durchläufen ja eher mittelmäßig. Die neue Frontfrau liefert
zwar eine souveräne Leistung ab, aber hält sich mit ihrem
breiten Stimmspektrum doch deutlich zurück. Doch es war
abzusehen, dass die Single nicht das Album repräsentiert,
sondern höchstens eine Facette davon sein würde. Jetzt, da man
"Endless Forms Most Beautiful" in seiner Gesamtheit erfassen
kann, bin ich sehr positiv überrascht. Floor Jansen macht einen
tollen Job. Sie setzt ihre vielfältige Stimme hervorragend ein.
Einzig ihre Opernstimme bleibt bis auf ein paar kleinen
Ausnahmen leider unter Verschluss. Das macht das Album auf
keinen Fall schlechter, man hat aber den Eindruck, als wolle
man auf Teufel komm raus das alte Markenzeichen der Band nicht
mehr verwenden. Dabei hat Floor allemal bewiesen, dass sie die
Fußstapfen von Tarja Turunen gut ausfüllen kann. Dennoch möchte
ich die Leistung von Vorgängerin Anette Olzon keinesfalls
schlechtreden. Sie hat auf den von ihr eingesungenen Scheiben,
gerade bei den ruhigeren Songs, eine tolle Arbeit abgeliefert.
An dieser Stelle möchte ich übrigens auf ihr sehr gutes
Soloalbum "Shine" (2014) aufmerksam machen, das für mich eines
der Highlights des letzten Jahres war und viel mehr Beachtung
verdient hätte. Hört da mal bitte rein. Zurück zu Nightwish...
Musikalisch führt man die Marschrichtung von "Dark Passion
Play" (2007) und "Imaginaerum" (2011) fort, doch hat man den
Eindruck, dass man sich etwas mehr an "Once" (2004) orientiert.
Der Opener "Shudder Before The Beautiful" und der Titelsong
schlagen diese Richtung ein. Bei "Yours Is An Empty Hope"
verwendet man sogar das selbe Riff von "Dark Chest Of Wonders",
dem damaligen Opener von "Once" (2004); hätte so auch auf
"Imaginaerum" (2011) gepasst. Will aber auch nach mehreren
Durchläufen nicht so recht ins Gesamtbild passen und beißt sich
daher mit dem Rest. Mein persönliches Highlight ist "Edemah
Ruh", weil man da wirklich schafft, die Magie der ersten vier
Alben zu erreichen. Herrlich verträumt und mit einer sehr
schönen Keyboardmelodie versehen. Ähnlich sieht es auch mit der
Ballade "Our Decades In The Sun" aus, die in bester Tradition
von "Forever Yours" ("Century Child" (2002)) steht. Vor
allem Neumitglied und Flötist Troy Donockley ist eine wahre
Bereicherung. Waren seine Beiträge auf dem Vorgänger schon echt
klasse, z.B. "I Want My Tears Back", ist es toll zu hören, dass
seine Spielkunst in ziemlich jedem Lied vertreten ist. Gerade
"Élan" wird durch sein Spiel stark aufgewertet und bei "My
Walden" darf er sich am Schluss mal richtig austoben. Am
Ende folgt mit "The Greatest Show On Earth" dann noch das
24-minütige Herzstück, das wirklich noch mal alles auffährt.
Der Song hat richtige Soundtrackqualitäten, geht es hier im
Speziellen um die Evolutionsgeschichte (Evolution ist das
zentrale Thema auf vielen Liedern). Was da alles passiert,
lässt einem schon die Kinnlade offen stehen. Ein Meisterwerk
und der perfekte Abschluss der Scheibe. Opulent inszeniert,
aber kein Herumgefrickel. Einzig das Instrumental "The Eyes Of
Sharbat Gula" dudelt recht einschläfernd vor sich hin und
"Yours Is An Empty Hope" klingt aufgrund der oben genannten
Gründe eher wie eine B-Seite. Da tönt "Sagan" von der Single
doch um einiges besser.
So ist "Endless Forms Most Beautiful" ein äußerst dynamisches,
abwechslungsreiches und mit vielen Ohrwürmern gespicktes Album
geworden, das in fast allen Punkten vollends überzeugen kann
und jetzt schon ein Highlight 2015 ist. Tuomas Holopainen zeigt
mal wieder, dass ihm in diesem Genre als Komponist so schnell
keiner das Wasser reichen kann.
STS
8 von 9 Punkten