INTERVIEW: THE GATHERING
Unser Mitarbeiter Matthias Engelhardt unterhielt sich vor dem
Gig in Nürnberg mit den niederländischen Ambientrockern. Die
neue Sängerin SILJE WERGELAND (Gesang) war dabei. Ebenso RENÉ
RUTTEN (Gitarre).
RCN: Zuallererst: Gratulation zum neuen Album
„The West Pole“ (2009), es gefällt mir sehr…
Silje+René: Danke!
RCN: …Wart ihr diesmal vor der
Veröffentlichung nervöser als sonst, weil ihr eine neue
Sängerin habt?
René: Ja. Wir waren natürlich gespannt, wie
die Reaktionen ausfallen würden, ob die neue Sängerin
akzeptiert wird oder nicht. Aber auch nein: Wir waren von der
Musik sehr überzeugt – letzten Endes ist es Album Nummer 9 von
der Band THE GATHERING.
RCN: Silje, wie war es für Dich: eine neue CD
mit einer neuen Band…
Silje: es war natürlich aufregend! Wir haben
sehr viel in kurzer Zeit gearbeitet und ich konnte die Jungs
erst während der Aufnahmen wirklich kennen lernen. Die Songs
selbst waren schon fertig geschrieben, als ich dazu stieß, und
ich habe noch die Texte und die Gesangslinien beigesteuert. Es
ging also alles sehr schnell, ich musste mich sehr schnell
einfinden, was aber auch sehr viel Spaß gemacht hat. Ich habe
natürlich Reaktionen seitens der Fans bezüglich meines
Einstiegs erwartet, aber wir haben ein gutes Gefühl mit dem
Album und unser Bestes getan. Mehr kann man nicht tun.
RCN: Du hast alle Texte zu dem Album
geschrieben (mit Ausnahme von „Capital Of Nowhere“ und „Pale
Traces“, die die Gastsängerinnen Anne van den Hoogen bzw.
Marcela Bovia beisteuerten). Das war damals bei Anneke van
Giersbergen genauso: Als sie als Sängerin zur Band stieß,
schrieb sie alle Texte zu „Mandylion“ (1995).
René: Die meisten Texte, ja. Wir schauen
natürlich noch mal drüber, ob uns das passt. Bei uns läuft das
so: Wir schreiben die Musik und haben schon eine Idee, wohin
der Text gehen soll. Musik und Text sollen schließlich zusammen
passen. Aber der Sänger schreibt die Texte.
RCN: Ist das Eure Art, neue Mitglieder in die
Band zu integrieren?
René: Nein. Wir finden einfach, dass es
logisch ist, dass der Sänger seine eigenen Texte
schreibt.
Silje: Für mich war das perfekt so, weil ich
es so von meiner alten Band OCTAVIA SPERATI gewohnt bin. Wir
haben vorher drüber gesprochen und ich wollte wissen, ob die
Jungs schon irgendwelche Ideen hatten. Was jedoch die
Gesangslinien anging, war ich ziemlich frei.
RCN: Du hast auch die Texte für deine alte
Band geschrieben? Gibt es einen Unterschied im Schreiben für
THE GATHERING und für OCTAVIA SPERATI?
Silje: Nein. Der Unterschied lag viel eher
darin, dass ich bei OCTAVIA auch in das Schreiben der Musik
involviert war. Dafür stieß ich hier aber zu spät zur
Band.
René: Beim nächsten Album wird sie natürlich
von Anfang an involviert sein. Dann sind Text und Musik auch
noch mehr miteinander verbunden, weil alles gleichzeitig
entstehen kann. Diesmal war es eher so, dass die Musik fertig
war und der Gesang drüber gelegt und die Musik nur noch
marginal geändert wurde – hier mal ein Part ein bisschen
länger, hier ein wenig kürzer. Aber das ist eine altmodische
Art, Songs zu schreiben.
RCN: Es gibt aber einen Song, Silje, den hast
du komplett allein geschrieben: „You Promised Me A Symphony“.
Das ist mein Lieblingssong auf dem Album!
Silje: Oh!
René: flucht auf holländisch
Silje: Yeeee! Hahaha!
RCN: Es ist eine sehr schöne Ballade, aber mit
einem recht düsteren Text. Was ist die Geschichte hinter diesem
Song?
Silje: Es ist ein sehr persönlicher Text. Ich
habe noch niemandem von der Presse erzählt, um was es geht,
aber es ist auch kein Geheimnis. Es geht um meine Kindheit,
meinen Vater, mit dem ich heute keinen Kontakt mehr habe, und
wie er sich damals nicht um mich gekümmert hat.
RCN: Es liegt überhaupt keine Aggression in
der Musik.
Silje: Nein… Sie ist einfach nur traurig. So
habe ich mich gefühlt.
RCN: Spielt ihr diesen Song live heute
Abend?
Silje: Nein. Darauf müssen wir noch ein
bisschen warten. Er passt nicht in die jetzige Setlist.
René: Wir haben uns diesmal mehr für die
rockigen Sachen entschieden. Hier nehmen wir die vom neuen
Album, die zu älteren Sachen passen. Wir haben neun Alben
draußen! Da ist es immer schwer zu entscheiden, was man spielen
will und was nicht. Letzten Endes geht es um die Atmosphäre,
die man kreieren will, das entscheidet, welche Songs man nimmt.
Die Tour nach dem nächsten Album wird vielleicht mehr aus
ruhigen Songs bestehen, aber diesmal wollten wir mehr nach
vorne gehen. Aber wir haben natürlich auch Easy Listening-Songs
dabei. Wir spielen wieder „Marooned“!
RCN: Ich kann mich an euer Konzert hier in
2005 erinnern, es war ein ruhigerer Set und ihr hattet eine
sehr angenehme Atmosphäre. Aber richtig intensiv wurde es, wenn
ihr einfach nur Krach gemacht habt.
René: Ja! Es ist so: Wenn du für 20, 25
Minuten Stille hältst und lässt es dann krachen, kracht es
doppelt.
RCN: Silje, wie es für dich, Songs zu singen,
die für eine andere Sängerin geschrieben wurden?
Silje: Wir haben nur Songs gewählt, die ich
persönlich auch mag und mit denen wir das Gefühl haben, dass
wir sie gemeinsam gut spielen können. Ich fühle mich sehr wohl
mit ihnen und auch wenn sie natürlich nicht für mich
geschrieben wurden, versuche ich, mich in sie hineinzufinden,
sie zu fühlen. Sie haben einfach wunderschöne Songs
geschrieben!
René: Danke schön ?
Silje: Ich freue mich, sie singen zu
dürfen.
RCN: Wie haben die Fans bislang reagiert, wenn
sie geliebte Songs nun mit einer neuen Stimme gehört
haben?
René: Die Reaktionen sind bislang gut.
Natürlich ist es eine neue Sängerin, es klingt also anders,
aber das wissen die Leute, es ist also keine Diskussion mehr.
Und die Art, wie Silje die Songs singt, passt perfekt zu THE
GATHERING, die Emotionen sind nach wie vor da. Aber das ist
natürlich ein langer Prozess.
Silje: Und jedem kann man es ohnehin nicht
Recht machen. Aber insgesamt können wir uns sehr glücklich
schätzen. Die Leute, die zu den Konzerten kommen, sind einfach
großartig!
René: Ja. Es ist kein Wettkampf mehr. Weißt
du, in den alten Zeiten war im Metal alles wie die Olympischen
Spiele, wenn etwas Neuartiges kam, was nicht erlaubt war. Ich
kann mich noch genau erinnern, als wir in den Anfangstagen mit
einer Sängerin auf die Bühne gingen: Die Leute haben sich
umgedreht und sind gegangen, sogar die Journalisten waren uns
gegenüber sehr negativ eingestellt! Das musste sich alles
ändern. Es gab sogar eine große Diskussion, weil das englische
Magazin „Kerrang!“ das erste Magazin war, das ein Mädel auf dem
Cover hatte! Ist es erlaubt, ein Mädchen auf dem Cover zu haben
oder nicht!? Ist das noch Metal!? Sechs Monate später war das
dann akzeptiert. Aber so läuft das halt. Mir persönlich sind ja
Mädels auf dem Cover lieber – die meisten männlichen
Metalmusiker sind einfach furchtbar hässlich… Ich sag nur Lemmy
Kilmister von MOTÖRHEAD!
Silje: Hahaha!
René: Hahaha, das ist definitiv wahr! Vor
allem die alten Musiker – schau dir mal MANOWAR an! Ich habe
absoluten Respekt vor diesen Bands, die auch immer noch auf
Tour sind, aber in dieser Hinsicht… Äh, ja…
RCN: René, wie ist es für dich, wenn du die
alten Songs nun mit einer neuen Stimme hörst – gewinnst du eine
neue Sichtweise auf sie?
René: Nein, überhaupt nicht. Natürlich gibt es
Unterschiede in Details, aber ich finde, was Silje tut, ist
wirklich gut! Ich für meinen Teil kann keine Coversongs
spielen. Sie klingen dem Original höchstens ganz entfernt
ähnlich. Ich muss immer mein eigenes Ding machen.
Silje: Die Entscheidung, unter dem alten
Bandnamen weiter zu machen, bedeutet ja auch, dass man keinen
kompletten Schnitt macht und mit etwas völlig Neuem weiter
macht, sondern das Alte durchaus behalten will. Die Songs
werden nicht verändert. Mir ginge das als Fan genauso! Wenn
James Hetfield METALLICA verlassen würde und jemand anders
würde „For Whom The Bell Tolls“ ganz anders singen, wäre ich
sauer. Er darf ein bisschen was verändern, das ja, aber nicht
zu viel. Dieses Konzept verfolgen wir jetzt mit THE
GATHERING.
René: Auf der anderen Seite kann es aber auch
gut funktionieren: Wir hatten zwei Alben, bevor Anneke mit
„Mandylion“ eingestiegen ist – „Always…“ (1992) und „Almost A
Dance“ (1993) und als wir eine Akustiktour gemacht haben, haben
wir auch Songs von diesen Alben gespielt. Sie waren jetzt
akustisch und natürlich ohne Growl-Gesang, aber sie kamen sehr
gut an.
RCN: Ihr habt es also auch überhaupt nicht in
Betracht gezogen, einen Sänger zu wählen, der völlig anders
klingt als Anneke?
René: Wir haben damals schon Anneke nicht
wegen der Stimme gewählt. Es geht uns viel mehr um jemanden,
mit dem wir gut zusammen arbeiten können, der gute
Gesangslinien und Texte schreiben kann als darum, wie die
Stimme klingt. Ich entscheide mich für den Menschen, nicht die
Stimme.
RCN: Wie seid ihr zusammengekommen?
Silje: Ich habe gelesen, dass sie eine neue
Sängerin suchen und ihnen eine CD mit drei Songs geschickt. Ein
paar Monate später haben sie mir geemailt und zwei Songs vom
neuen Album ohne Gesang geschickt: „Treasure“ und „A Constant
Run“. Ich habe Gesangslinien dazu geschrieben und in meinem
Tonstudio aufgenommen…
René: Nein, in der Küche! „Tonstudio“,
haha!
Silje: Ja, okay, in der Küche… Haha! Sie haben
es gemocht und mich gebeten, zu ihnen von Norwegen nach Holland
zu kommen.
RCN: Gab es viele Bewerberinnen um den
Sängerposten?
René: Ja, wir haben 400 bis 500 Demos
bekommen, aber 98 Prozent davon waren richtig schlecht. Nur bei
ein paar haben wir gesagt: „Oh, die sollte man sich merken!“,
wobei da auch Leute dabei waren, mit denen wir früher schon
gearbeitet hatten. Auch ihnen haben wir diese zwei Demosongs
geschickt. Aber was Silje mit „Treasure“ gemacht hat, hat uns
wirklich überrascht. Es ist ein sehr einfacher Song, deshalb
ist es schwer, eine wirklich gute Gesangslinie dazu zu finden.
Die andern haben einfach eine Standardlösung gefunden, was für
uns aber einige Schritte zurück gewesen wäre. Was Silje gemacht
hat, war neu und wirklich richtig gut! Deshalb freue ich mich
auf das nächste Album – wenn wir von Anfang an zusammen
arbeiten, können wir etwas wirklich Schönes kreieren. Die
Entscheidung für sie fiel uns also leicht.
RCN: Ihr habt zwei Gastsängerinnen auf dem
Album. Waren Anne van den Hoogen und Marcela Bovia auch
Kandidaten für Euch?
René: Ja, sie haben auch Demos geschickt.
Wobei wir Marcela schon kannten, sie eröffnete für uns mit
ihrer Band, als wir durch Mexiko tourten. Aber es wäre für mich
sehr seltsam gewesen, sie als Sängerin zu haben, weil sie doch
zu sehr nach Anneke klingt. Was Anne gemacht hat, war sehr
schön und wir konnten uns gut vorstellen, mit ihr zu arbeiten.
Sie ist ein sehr nettes, junges Mädel aus Holland, aber wir
haben festgestellt, dass sie keinerlei Erfahrung hat. Deshalb
hielten wir sie doch nicht für die Richtige für uns, auch wenn
sie eine wunderschöne, engelhafte Stimme hat. Vielleicht
arbeiten wir in der Zukunft mal wieder mit ihnen, auch wenn ich
mir das im Moment nicht vorstellen kann. Vielleicht arbeiten
wir auch mal wieder mit einem zusätzlichen männlichen Sänger,
wie wir das auf „Souvenirs“ (2003) gemacht haben.
RCN: Ich kann mir Silje sehr gut mit einem
Sänger vorstellen!
René: Wir sind offen für alles und Ideen sind
da. Als uns Anneke verließ, hatten wir ursprünglich die Idee,
acht bis zehn Gastsänger zu fragen und auf diese Weise ein
Konzeptalbum zu machen. MASSIVE ATTACK machen das so. Aber dann
kamen wir von der Idee ab: MASSIVE ATTACK hatten Hitsongs, die
können machen, was immer sie wollen. Aber wir sind THE
GATHERING, eine Band, von uns würde keiner so ein Album kaufen.
Die Leute würden das Album eher runterladen, weil es diesen
Projektcharakter hätte. Also haben wir gesagt: Lasst uns ein
richtiges Album machen, aber lasst uns versuchen, nicht alles
mit dem gleichen Sänger aufzunehmen.
RCN: Ich finde interessant, dass du sagst „Oh,
so ein Album würde niemand kaufen!“. Und zwar vor dem
Hintergrund, dass ihr in eurer Karriere euren Stil extrem
verändert habt. Habt ihr euch da keine Gedanken gemacht, dass
euch die Fans davon laufen könnten?
René: Überhaupt nicht. Schon unsere Demos
klangen komplett anders als unser Debütalbum. Jedes Album muss
anders klingen bei uns. Wir ziehen unsere Inspiration aus dem
Leben und das ist ständigen Veränderungen unterworfen. Das
wirkt sich natürlich auf die Musik aus, die du schreibst. Allen
Respekt für AC/DC, aber ich stelle mir das sehr langweilig vor,
immer dasselbe Album schreiben zu müssen. Aber das ist ihr
Stil, daran können sie jetzt nichts mehr ändern! Ich mag AC/DC
wirklich sehr, und ich weiß ihre Musik zu schätzen, aber ich
könnte so nicht arbeiten. Du änderst deine Klamotten, deine
Essensgewohnheiten, deine Frisur, also muss ich auch meine
Musik ändern. Schau dir unsere ersten Bandfotos an, wir sahen
damals komplett anders aus!
RCN: Ich muss gestehen: Ich bin einer von
diesen Fans, die von euch enttäuscht wurden. Ich fand
„Nighttime Birds“ (1997) großartig, konnte aber zu dieser Zeit
mit „How To Measure A Planet“ nichts anfangen.
René: Ja, das ging vielen so. Es gibt ein paar
Dinge, die man über dieses Album wissen muss. Wir haben eine
komplett neue Art gewählt, das Album aufzunehmen: Wir haben
alles direkt in den Computer eingespielt! Wir haben für zwei
Tage ein Studio gemietet und nur das Schlagzeug aufgenommen.
Von dieser Basis aus haben wir die Songs erst geschrieben.
Innerhalb von zwei Monaten haben wir Gitarren- , Keyboard-,
Bassparts und Gesangslinien geschrieben und direkt im Computer
aufgenommen. So etwas hat zu dieser Zeit noch überhaupt niemand
gemacht, oder nur ganz wenige Bands haben so gearbeitet. „OK
Computer“ von RADIOHEAD wurde so aufgenommen, was für uns ein
wichtiges Album war. Wir haben also gesagt: Wenn wir auf diese
Weise ganz neue Wege gehen, muss auch die Musik anders klingen.
Wir hatten „Mandylion“ und „Nighttime Birds“ gemacht, die sehr
ähnlich klangen, einfach auch deshalb, weil sie recht zeitnah
zueinander entstanden sind. Nun mussten wir etwas komplett
anderes machen: Lasst und ein Doppelalbum machen mit einem Song
über eine halbe Stunde, einfach nur um zu sehen, ob es
funktioniert. Heute bekomme ich viele E-Mails von Leuten, die
sagen, sie hätten nach Jahren mal wieder in „How To Measure A
Planet“ reingehört und seien erstaunt, wie toll und modern es
klingt. Zu der Zeit galt im Metal einfach: Gitarren nach vorne
und lauter Gesang oben drüber. Mehr durfte da nicht sein!
RCN: Genau – das bin ich!!! Du beschreibst
perfekt meine Geschichte mit THE GATHERING, hahaha!
René: Klar, du warst jung, du wolltest das so
haben. Aber du wirst genauso älter, bist jetzt offener oder
vielleicht auch gelangweilt von der immer selben Art von Metal.
Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert. Ich meine, wir
haben das Album 1998 gemacht, das war vielleicht zu früh für
die meisten, besonders für das Metalpublikum. Aber wir denken
uns: Scheiß drauf, wir machen, was wir wollen. Ob das klug ist
oder auch gut? Ich weiß es nicht. Wir wollten es einfach
ausprobieren und danach hätten wir auch wieder ein anderes
Album machen können.
Silje: Gefällt dir das Album jetzt?
RCN: Ja, sehr!Aber es hat einige Jahre
gebraucht.
René: Zehn Jahre, aber okay, hahaha!
RCN: Silje, warst du ein Fan von THE
GATHERING, bevor du eingestiegen bist?
Silje: Klar, sonst hätte ich mich gar nicht
beworben. Ich muss ja die alten Songs singen!
RCN: Wie bewertest du dann den Werdegang
der Band?
Silje: So wie René schon sagte: Du musst dich
verändern und auch deine Musik muss sich verändern. Mit meiner
alten Band haben wir es ähnlich gemacht: Das zweite Album von
OCTAVIA SPERATI klingt anders als das erste. Man will etwas
Neues machen! Ich war auch immer wieder Gastsänger, die Art von
THE GATHERING, Musik zu machen, ist für mich also eine ganz
natürliche.
René: Für die meisten Bands ist das zweite
Album das Entscheidende. Für das erste hast du unbegrenzt Zeit,
bis du die Songs geschrieben und eingeübt hast, bis du ein Demo
einschickst und dann letztendlich live spielst. Aber kannst du
auch ein zweites gutes Album schreiben, das innerhalb eines
Jahres entstehen muss, während dem du auch noch auf Tour bist?
Da musst du wirklich was drauf haben!
RCN: Wie denkst du dann über euer zweites
Album „Almost A Dance“?
René: Das war genau die Situation, wie ich sie
gerade beschrieben habe. Die damalige Plattenfirma hat uns ein
wenig beschissen, wir hatten ein Problem mit dem ersten Sänger
und brauchten einen neuen, wenige Monate bevor es wieder ins
Studio ging. Wir hatten überhaupt keine Kontrolle. Ich ging ins
Studio, nahm meine Gitarre auf, ging wieder raus und hörte erst
viel später, wie das Album überhaupt klang. Ich war enttäuscht,
wie viel sie geändert und was sie mit dem Gesang angestellt
hatten – Nils Duffhues kann wirklich singen und hat eine sehr
schöne Stimme! Sie haben zu viel daran geändert. Von der Musik
her mag ich das Album und ich mag Nils, aber nicht, wie er auf
diesem Album singt. Aber was soll’s, so steht’s geschrieben und
man kann nichts mehr daran ändern.
RCN: Was ist dann euer Lieblingsalbum
von THE GATHERING?
René: Schwer zu sagen. Beim aktuellen Album
habe ich alles selbst gemacht und bin deshalb sehr stolz darauf. „Mandylion“
war ein großer Augenöffner damals für das Musikbusiness. Zuerst
haben alle gesagt „Was ist das denn mit dieser Barbiesängerin“,
dann haben sie es alle gemocht – also Fuck You!!! Bei „How To
Measure A Planet“ waren die Aufnahmen einfach toll, diese
Herangehensweise von „moderner Wissenschaft“. Und natürlich
„Always…“. Das war unser erstes Album! Wir waren zum ersten Mal
in einem Studio! Wir haben alles in nur einer Woche
aufgenommen! Das komplette Album mit allem drum und dran hat
umgerechnet weniger als 2.000 Euro gekostet! Da bin ich sehr
stolz drauf, wer kann heutzutage noch solch ein Album unter
solchen Bedingungen machen??? Jedes Album hat also etwas
Besonderes. Von der Musik her… muss ich sagen… „How To Measure
A Planet“, besonders der lange Titelsong. Wer hat zu dieser
Zeit schon einen Song von 35 Minuten gemacht? Und „The West
Pole“ mariert" nun einen neuen Schritt für die Band. Nach 20
Jahren kann man einfach nicht sagen, welches Album man
favorisiert, dafür hatten wir auch zu große Veränderungen
innerhalb der Musik.
Silje: Ich kann „The West Pole“ nicht mit den
alten Alben vergleichen. Von den alten… Ich mag „Mandylion“ und
„How To Measure A Planet“ sehr.
RCN: Mein Lieblingsalbum von euch ist
und wird es auch immer bleiben: „Nighttime Birds“. Jetzt seid
ihr ja nicht die erste Band, die einen markanten Sänger
ersetzen musste. Deshalb möchte ich euch beide bitten, die
Wechsel bei folgenden Bands zu kommentieren. Zuerst: BLACK
SABBATH.
Silje: Dio ist einer der besten Sänger
überhaupt!
René: Absolut!
Silje: Schau nur, wo sie heute stehen und was
sie mit HEAVEN & HELL machen – das ist großartig!
René: Klar, mit Ozzy Osbourne hat alles
angefangen und er hat eine so charakteristische Stimme. Aber
was er heute macht, ist nur noch erbärmlich und traurig. Er
sollte sich aus dem Business zurückziehen.
Silje: Die Ozzy-Alben sind die berühmtesten,
die hast du gehört, als du noch klein warst.
René: Wir haben gestern im Bus noch „Vol 4“
von 1972 gehört. Wir haben gesagt: was zum Teufel ist das, das
klingt ja so was von modern! Das ist so gut!
Silje: Wir haben HEAVEN & HELL letztes
Jahr auf dem Graspop Festival gesehen, weil wir dort auch
auftraten. Ich habe nur gedacht: Oh mein Gott, da stehen
Legenden auf der Bühne! Die waren da, als alles begonnen hat!
Sie hatten so einen großen Einfluss auf den Metal!
RCN: JUDAS PRIEST.
René: Habe ich nie gehört. Silje: Ich kenn nur
den ersten Sänger – wie war sein Name…?
RCN: IRON MAIDEN.
René: Jaaa, das war natürlich die Band, die
mich zur Musik gebracht hat! Fanstastisch!
Silje: Die ersten beiden Alben mit Paul
Di’Anno waren gut. Wobei… Nicht gut, aber sie hatten so einen
großen Einfluss auf alles, was danach kam.
René: Ja, aber ich denke auch, dass sie
aufgrund eines richtig guten Managements so groß wurden. Aber
es sind auch alles extrem gute Musiker.
RCN: HELLOWEEN.
Silje: Ich kenne keinen einzigen Song.
René: Ich habe sie in den Anfangstagen gehört:
„Keeper Of The Seven Keys“! Aber dann habe ich sie aus den
Augen verloren. Vielleicht sollten wir heute anstatt einer
BLACK SABBATH- eine HELLOWEENNacht im Bus machen!
RCN: SEPULTURA.
René: Wir haben ein paar Mal mit ihnen auf
Festivals gespielt. Sie sind eine der Lieblingsbands meiner
Mutter! Sie sagt, sie versteht, dass sie wütend sind über das,
was bei ihnen in Brasilien passiert. Wir haben sie im Fernsehen
gesehen und sie sprang auf: „Das ist es, was mir gefällt! Diese
Reinheit!“ Ja, ein saudummer Kampf, den sie sich damals
geliefert haben. Ein Spinal-Tap-Kampf! Jetzt sind die
Cavalera-Brüder wieder gemeinsam mit CAVALERA CONPIRACY auf
Tour. Das ist halb SEPULTURA, das ist wie früher! Aber ich habe
sie nach dem Kampf aus den Augen verloren.
RCN: Nun zu einer Band mit einer Sängerin:
NIGHTWISH.
René: Das sind Freunde von uns. Der
Unterschied zu uns ist, dass sie ihre Sängerin rausgeschmissen
haben, während Anneke uns verlassen hat – sie hat sich selbst
rausgeschmissen. Mein Eindruck ist, dass die NIGHTWISH-Fans
überhaupt keinen Respekt vor der Musik haben. Ich bin
enttäuscht von ihnen. Es ist die Entscheidung der Band! Mir
persönlich gefällt die neue Sängerin besser, mir war der alte
Operngesang oft zu viel.
Silje: Ich glaube, viele Fans mögen die neue
Musik, aber die alten Die-Hard-Fans akzeptieren die neue
Sängerin nicht und das sind diejenigen, die sich zu Wort
melden.
René: Soweit ich gehört habe, verkaufen sie
jetzt mehr Platten als zuvor. Ich glaube, das Problem bei
NIGHTWISH ist, dass man „Dark Passion Play“ anhört, dass die
Musik geschrieben wurde, bevor die neue Sängerin zur Band
stieß.
RCN: Das habt ihr besser hinbekommen, bei
euch klingt es aus einem Guss. Man muss bei NIGHTWISH das
nächste Album abwarten.
René: Genau, da haben wir es wieder: das
zweite Album einer Band…
RCN: Und was denkt ihr über PINK FLOYD ohne
Roger Waters?
Silje: Mir hat das Album „Division Bell“ sehr
gefallen!
René: Es ist, als würde ein Arm oder ein Bein
fehlen. Als sie während des letzten Live 8 nochmals zusammen
aufgetreten sind, das war die alte Magie! Das war auch noch an
meinem Geburtstag, ich hatte Tränen in den Augen. Ohne ihn… das
ist einfach nicht PINK FLOYD. Auch seine Solosachen… die sind
schön, aber mir fehlt einfach was.
RCN: Gefällt dir denn „Division Bell“?
René: Nein. Aber mir gefallen viele Alben von
PINK FLOYD nicht – sie sind mir oft zu artie-fartie.
RCN: René, meine letzte Frage muss ich dir als
Holländer stellen: Wir Deutschen machen uns gern über euch und
eure Wohnwagen lustig, die unsere Autobahnen verstopfen…
René: Ja, haha, ich weiß! Wir reißen dieselben
Witze über uns mit unseren Caravans voll gepackt mit selbst
gezogenen Kartoffeln und Majonäse und allem, haha! Wir finden
das super, dass ihr euch da auch drüber lustig macht – das
müsst ihr tun!
RCN: …Welche Witze macht ihr über uns
Deutsche?
René: Wir machen eher Witze über die Belgier
als über die Deutschen. Außer, wenn es um Fußball geht.
RCN: Oja! Bei Fußball hört die Freundschaft
auf!
René: Richtig! Aber ich werde einem Deutschen
ganz bestimmt nicht erzählen, was wir da über euch sagen… Ihr
könnt es euch sicher in etwa vorstellen.