SEBEL UNTERSTÜTZEN UND 5 EUR SPENDEN
LIVEBERICHT: 2. MAI 2012, NÜRNBERG HIRSCH
Sebel ist ein symphatischer Musiker. Aber keiner von der
Arschkriecherfraktion, er hat eher die ruhrpott-typische
Offenheit, die Menschen dort tragen ähnlich wie die Berliner
das Herz auf der Zunge. Er geht auch mal wie hier im
Vorprogramm von Thomas Godoj auf die Bühne und kündigt sich als
„die nervige Vorband“ an. Hat nichts genützt. Seine klar
verständlichen Songpoesien zusammen mit handwerklich
erstklassigen Deutschrock zünden bereits nach dem zweiten Song
beim tendenziell stark weiblichem Publikum. Seine
melancholisch-ehrlichen Songs sind einfach so grandios weit weg
von der ganzen Castingpop-Scheisse und somit einfach charmant
und authentisch. Wenn er mehr Zeit bekommen hätte, dann hätte
Sebel mit Band auch locker die Abendunterhaltung übernehmen
können. Wer z.B. den spröden Beau Wirtz mag, wird Sebel ebenso
gut finden! Wir haben uns mit ihm unterhalten, dem Sebel:
SEBEL
SCHEISS AUF DIE DISCO
Deutschrock kann auch sexy sein! Auf dem schmalen Grad
zwischen peinlich und cool besetzt Sebel van der Nijhoff aka
Sebastian Niehoff, der sich jetzt der Einfachheit halber mit 30
nur noch SEBEL nennt den coolen Platz. Im April erreichte uns
eine EP namens „SCHEISS AUF DIE DISCO“ und die kriegen wir
durchgehend nicht mehr aus den Ohren heraus. Die Songs heißen
„Scheiss auf die Disco“, „Wer soll das alles ficken?“, „Wie
Deutsch kann man sein?“ und „B-Prominenz“. Die EP erscheint
jetzt Ende Mai und Sebel war neulich im Vorprogramm von Thomas
Godoj im Nürnberger Hirsch, wir haben uns mit ihm
unterhalten.
.rcn: Ich habe auf deiner CD, die ja erst im
Sommer kommt einen schlechten Track gesucht aber keinen
gefunden. Auf Deiner Homepage sind ja mehrere unveröffentlichte
Songs als Video zu sehen. Hast du denn schon mehr Material von
der neuen Platte veröffentlicht ?
Sebel: Ja, da gibt es noch mehr Videos, die
du wahrscheinlich nicht gefunden hast. Insgesamt sind es sechs
fertige Videos.
.rcn: Doch, die habe ich gefunden. Aber auch
da war auch nichts Schlechtes zu sehen und zu hören. Die Platte
scheint echt gut zu werden, aber in Deutschland wird man ja
dann bei den Verkäufen sehr gerne schnell von der Realität
herunter geholt, sofern man das als Künstler überhaupt hören
will. Was hast du für ein Gefühl bei den Sachen?
Sebel: Ich merke an der Reaktion der Leute,
dass sie sehen und fühlen, dass ich etwas Authentisches mache.
Die Songs sind echt, sie kommen aus meinem Leben, das ist meine
Geschichte und es ist einfach echt, so wie es ist. Ich komme
aus der Fotografieecke und bin Musiker, deswegen bin ich da
immer zweigleisig gefahren, so sind die Videos dazu
gekommen, das ist alles aus einer Hand, das merken die Leute
glaube ich. Ich habe auch die Platte selber eingespielt. Auf
der Bühne gibt es jetzt eine Band dazu aber es ist alles
eben irgendwie aus einer Hand. Teilweise spaltet das die Leute,
gerade bei kontroversen Texten wie „ Wer soll das alles ficken
“ sagen viele es sei nicht so ihr Ding. Wir spielen den Song
jeden Abend auch vor dem Publikum von Thomas Godoj, wir spielen
weil wir Bock drauf haben und das spaltet die Zuschauer. Auf
der einen Seite kommen die Leute und sagen gut, dass das mal
jemand ausspricht, aber bei dem Publikum hier mit Godoj kommen
sie und sagen „Ich finde ja alles super bis auf DEN einen Song.
Kannst Du Dich nicht etwas besser ausdrücken“ aber viele finden
genau das gut weil`s eben gerade raus ist.
.rcn: Woher stammt diese besagte Zeile mit
dem ficken?
Sebel: Da gibt es eine Geschichte. Der Satz
stammt so gar nicht von mir. Ich wohne mit meinem Schlagzeuger
zusammen in einer WG in Recklinghausen über einer Diskothek,
meine Songs handeln aus dem Umfeld dort, alte Zechengebäude,
riesengroße WGs und Partys. Wir proben da auch und
spielen dort teilweise live. Unten ist diese Diskothek und die
Geschichte von „Wer soll das alles ficken“ ist eigentlich von
unserem Vermieter und gleichzeitig Diskobesitzer; Das ist so
ein „Mafiapole“ sage ich mal satirisch; der ist echt super, wir
kennen ihn schon ewig und er hat den Satz geprägt. Zwischen 12
und 1:00 Uhr kommt der dann aus seinem Büro raus, geht in
seinen Laden zur Theke und sagt zu mir „Ey Sebel, guck dir
diese ganzen Pussys an, wer fickt das alles? Wir nicht“ der
Spruch hat mich so inspiriert dass ich gedacht habe, da musst
du einen Song daraus schreiben. Eigentlich ein genialer Spruch.
Er hat gesagt wer fickt das alles und wir haben das dann
adaptiert.
.rcn: Wenn die Leute das wüssten, würden sie
bestimmt anders darüber denken und das mehr tolerrieren
Sebel: Wenn man sich ein bisschen mehr mit
den Songs beschäftigt, dann merkt man schnell, dass in allen
Songs ein Augenzwinkern dabei ist, also ich nehme mich gerne
selber auf die Schippe, verarsche mich gerne und stelle mich
gerne als Trottel hin, da steckt immer etwas Selbstironie
dahinter. Alles nicht so gemeint wie es gesagt wird.
.rcn: Ist das jetzt typisch Ruhrpott?
Sebel: Ja, was man uns nachsagt, ist diese
Ehrlichkeit und das gerade heraus. Wir reden nicht lange drum
herum, vergessen raue Worte aber dann ganz schnell wieder und
trinken ein Bierchen zusammen. So ist das mit dem „sich selbst
auf die Schippe nehmen“ auch. Aber das ist mehr typisch für
mich und mein Umfeld bzw Freunde und Bekannte. Wir nehmen nicht
alles ganz so ernst. Das passt auch zum Thema des Songs
„Wie deutsch kann man sein“ damit meine ich, dass die
Deutschen sich nicht immer so ernst nehmen sollten und auch mal
selber über sich lachen.
.rcn: Europäisch gesehen sind die Schweizer
aber immer noch schlimmer, was mangelnde Selbstironie angeht.
Du machst ja jetzt nun nicht seit gestern Musik...Wie ist
eigentlich deine Vorgeschichte?
Sebel: Ich habe schon immer Musik gemacht,
zuerst auf Englisch und dann auf Deutsch. Die erste Band
starteten wir mit 14 -15 und ich hatte schon immer das
Bedürfnis eigene Sachen zu machen. Wir wollten nie covern und
haben auf Englisch angefangen, sind aber dann auf deutsche
Texte umgeschwenkt, mit 16-17 fing das an. Die erste Band war
nicht sehr erfolgreich, da spielte ich Schlagzeug und schrieb
Songs – die Gruppe hat sich dann aufgelöst aber ich konnte
nicht aufhören Songs zu schreiben und wollte weiter zu machen.
Wenn man da einmal angefangen hat, und es deine Passion ist
Songs zu schrieben, dann muss es einfach raus, dann ist es auch
egal ob es erfolgreich wird oder nicht. Somit machte ich selber
weiter und dann auch als Gastmusiker bei anderen Künstlern. Bei
Stoppok zum Beispiel spiele ich seit fünf oder sechs Jahren
fest in der Band ich spiele zweite Gitarre und Orgel, er ist
ein sehr guter Freund, ich bin auch teilweise sehr inspiriert
von ihm, ich mag seine Songs und seinen Stil.
.rcn: Ja er ist sehr eigen, ein
musikalischer Querdenker, er macht nicht das was die anderen
machen, den kann man nicht so einfach in eine Kiste stecken.
Ähnlich wie bei dir. Der Trend geht ja momentan mehr in
Richtung „Junge mit Gitarre, der über Gefühle singt„ also das
Singer-Songwriter-Ding – das ist nicht so deins oder?
Sebel: Das ist auch was, was ich an der
deutschen Musikszene nicht gut finde, dass soviel gejammert
wird und soviel depressiv ist, das Rumgejammer, das kann ich
nicht nachvollziehen, dass da immer soviel rumgejammert
wird.
.rcn: Es müsste mehr Deichkinds geben?!
Sebel: Eigentlich schon
.rcn: Die werden nur gleich wieder verurteilt
da sie ja angeblich Alkohol und Drogen verherrlichen
Sebel: Naja, aber ein paar mehr Deichkinds
könnte das Land vertragen. Damit das Rumgejammer aufhört.
.rcn: Wie sieht es politisch bei dir
aus?
Sebel: Ich bin ja ein sehr unpolitischer
Mensch, ich weis das ist nicht gut aber ich habe mich noch nie
so wirklich damit beschäftigt ehrlich gesagt war ich auch
noch nie wählen, was ich aber nicht befürworte.
.rcn: Jetzt musst du, jetzt hast du es
gesagt.
Sebel: Ja, ich habe aber trotzdem mal einen
Song geschrieben, dass sich der normale Mensch mit denen da
oben gar nicht mehr identifizieren kann. Das ist ja
Schauspielerei da oben. Da müsste mal ein normaler Bürger hin
und den Menschen aus der Seele sprechen ohne eine Show
abzuziehen.
.rcn: Wie verhindert man dass man als Musiker
mit dem Erfolg so elitär und abgehoben wird? Manche Musiker
meinen ja ganz weit oben zu sein...
Sebel: Bei mir ist das so: Meine Heimat und
mein Umfeld ist das, was mich immer auf den Boden hält.
Deswegen bin ich auch nie, hoffe dass ich das auch durchziehe,
nie nach Hamburg oder Berlin gegangen, obwohl ich beide Städte
super finde. Ich bin auch gerne da, aber ich mag halt dieses
triste Leben, die normalen Menschen in meinem Umfeld. Nach so
einer Tour wie hier, wo jeden Abend der Rock´n´Roll abgeht,
weiß man am Ende gar nicht mehr wer man ist und wo man
herkommt. Wenn Du da wieder nach Hause kommst und wieder wahre
Freunde triffst kannst Du wieder normal morgens zu deinem
Stammbäcker gehen, der dir jeden Tag deinen Kaffee verkauft...
das holt mich wieder zurück.
.rcn: Könntest du dir vorstellen mal was
literarisches zu machen?
Sebel: Ich hatte immer schon den Traum ein
Buch zu schreiben, ja doch.
.rcn: Dann kann es also passieren, dass du
sagst... jetzt ist Zeit dafür?
Sebel: Ja.
.rcn: Ich habe immer das Gefühl in der
Literaturbranche, auf der einen Seite sind da die Super–Autoren
welche vom Spiegel gefeiert werden und auf der anderen Seite
die Journalisten, die nur ein bisschen mit Medien zu tun haben
und trotzdem in der Lage sind etwas erfrischendes zu schreiben,
was die Leute gerne lesen. Da sagt man dann immer Popliteratur
dazu. Persönlich verschlinge ich solche Bücher oft sehr
schnell, ich finde sie unterhaltsamer und man kann sich damit
besser identifizieren wie in deinen Songtexten auch... das ist
jetzt übrigens eine Kompliment für einen höherwertigen
Musiker... Themawechsel: Können dir mal die Themen ausgehen
oder passiert in deinem Leben so viel, dass du immer Material
zum schreiben hast?
Sebel: Es passiert echt soviel, ich bin seit
zehn Jahren selbstständig und da kommt es schon mal vor, dass
einen außenstehende Leute sagen was man eigentlich für ein
tolles und abwechslungsreiches Leben führt, weil man das selber
nicht mehr so zu schätzen weiß, wenn man darüber nachdenkt ist
das echt abgefahren. Ich kann so oft im Jahr machen, was ich
will Ich liebe Reisen und bin total viel unterwegs. Durch die
Fotografie bin ich sehr oft auf Reisen gegangen. Neuseeland,
Amerika, Südamerika, Australien oft sind wir mit dem alten VW
Bus unterwegs. Nach der Tour steht wieder Südfrankreich an,
Surfbretter in den Bully und los! Das sind eigentlich die
Geschichten, die mich da prägen und inspirieren, was man für
Menschen kennen lernt, was man abends am Lagerfeuer vor dem
Bully erlebt mit Leuten die man vorher gar nicht kannte und
plötzlich sitzen 20 Leute da und man hat einen tollen Abend
zusammen. Das sind Dinge die sich gut einprägen.
.rcn: Reisen bildet also?
Sebel: Ja und reisen macht einen guten
Menschen aus jemandem.
.rcn: Manche bleiben lieber daheim, schauen
Fern und reisen da... Wie kannst du dir erklären?
Sebel: Vielleicht mangelt es am Geld? Ich
kenne auch so jemanden, einen Nachbarn, er ist zwischen 50 und
60. Er schaut sich immer Dokumentationen im Fernsehen über das
Reisen an, sitzt davor und meint immer wie toll es wäre, wenn
man da oder da mal hinfahren würde. Ich sage dann immer: „buche
dir doch mal eine Flug, mach` doch einfach mal“. Er sagt dann
immer: „Kann ich nicht, ich habe hier mein Leben und meinen
Job“. Wenn man frei ist und machen kann wozu man Lust hat und
mal zwei drei Wochen pausieren kann wie ich, ist das ein Luxus
den nicht viele Menschen haben, dafür bin ich sehr
dankbar.
.rcn: Deine EP kommt Ende Mai was können wir
erwarten?
Sebel: Ich starte eine kleine Clubtour im
Juni mit 6 oder 7 Terminen. Dann versuchen wir eine Supporttour
mit einer größeren Band zu ergattern, da wo wir sehen, dass es
Sinn macht. Wir haben eigentlich kein genaues Zielpublikum, es
sind einfach immer Leute im Publikum, die es interessiert, die
es verstehen was wir machen. Wenn das Album erfolgreich wird,
dann denke ich dass wir Anfang nächstes Jahr eine eigene Tour
fahren können oder Ende des Jahres, je nachdem wie erfolgreich
das Album ist.
.rcn: Können Leute wie Carlos (Managment)
dabei helfen?
Sebel: Ob das alles funktioniert kann ich dir
in einem halben Jahr sagen. Bis jetzt läuft es sehr gut, das
Team was man um sich gebaut hat, sowie die Plattenfirma. das
Problem ist, dass viele deutsche Bands viel selber machen. Das
kann ich auch aber irgendwann hört es auch auf. Um die
kreativen Sachen wie Videos, Fotoshootings, Artwork oder Cover
kümmere ich mich selbst, eine Homepage kann ich selber machen
und Songs produzieren, einspielen, schreiben... Aber man kann
sich selbst eben nicht so gut verkaufen. Da muss man schon auf
andere zurück greifen, die deine Kreativität nehmen und nach
außen tragen, und da hat man leider heutzutage keine andere
Möglichkeit. Man kann alles selber machen und hoffen dass es
durch das Internet gestreut wird, aber ich bin mir sicher, dass
meine Musik so außergewöhlich ist, dass es als Insidertip über
YouTube bekannt wird.
.rcn: Zum Schluß: Großes Kompliment nochmal,
man erfasst deine Lieder schnell, sie bleiben als Ohrwurm
hängen und die Zeilen schlagen sich dann nicht mehr aus dem
Kopf. Damit prägt man sich auch ins Gedächtnis der Hörer, das
könnte was werden!
Im Juli kommt dann das vollwertige Album von Sebel, kaufen,
und nicht vergessen: Scheiss auf die Disko!
Ewald Funk