Haarweg zur Hölle
Hermann Bräuer
Ullstein, ISBN-13: 978-3548372617
Großartig, endlich wird der
lustigste Musik-Ganzjahreskarneval der frühen Achtziger beim
Namen genannt! Kaum eine musikalische Stilrichtung wird
heutzutage dermaßen totgeschwiegen wie der gute alte Poserrock,
der hier im Buch unter dem international gültigen Terminus
„Hair Metal“ rangiert. Viele haben damals mitgemacht, aber
keiner gibt es heute freiwillig zu. In kaum einer deutschen
Großstadt hat der Poserrock so gut funktioniert wie in München
tief in den Achtzigern. Hier fiel Musik und Lebenseinstellung
von Bands wie Poison, Warrant oder Stryper auf fruchtbaren
Boden und gedieh hervorragend in einem zeigefreudigen Milieu
zwischen Schickeria, Profiblendern, bodenständigem Umland und
Türsteherclubs. Ich erinnere mich noch mit ironischen Grausen
an Großkonzerte in „Munich Rock City“ von Bon Jovi oder
Aerosmith, wo im Publikum die männliche Fraktion im Vorfeld
mehr Haarspray und Schminke verballert hatte, als die gesamte
Reeperbahn im Monat braucht. Der nun in Berlin lebende Autor
Hermann Bräuer ist an der Isar aufgewachsen und spielte sogar
mal zusammen mit Hans Ziller von Bonfire bei dessen
Zwischendurch-Band Ez Livin, weiß also von was er erzählt in
dieser „Halbbiografie“. Keine Frage: Ganz großes Kino! Der
Autor beschreibt einfühlsam und ohne langatmige Details, warum
die bayerische Landeshauptstadt damals gerne Little - L.A.
gewesen wäre, und wie männliche Jugendliche auf ihrem Weg zur
Geschlechtsreife in der Orientierungsphase sogar Spandexhosen
und Schminke trugen. Viele Musiker werden sicher all die
kleinen Stolpersteine auf dem Weg zu einer erfolgreichen Band
im Buch wieder finden, inklusive aller Klischees über
Konkurrenzkombos, Rollenverhalten und der damals noch gesunden
Musikindustrie. Clubnamen, Labels und Fachwissen werden gekonnt
in eine flauschige Story verwoben, einfach Comedy zum Lesen,
die sich gar nicht die Mühe macht altklug anzuprangern, sondern
den Kreuzweg dieser Szene durch irren Sprachwitz bis zum
finalen Scheitern durch die Grungeszene begleitet. Macht Spaß,
trotz des kreativen Hängers in der Mitte. Am besten am
Wochenende beginnen, denn man liest dieses Buch als Zeitzeuge
eh in einem Rutsch und wird zudem köstlich dabei
unterhalten.
Ewald Funk
6 von 9 Punkten