Rush touren seit 1973. Das Phänomen der Band, die bei den eigenen Fans gerne "die heilige Dreifaltigkeit" genannt wird, ist einfach erklärt. Wo andere Bands ihre Krisen in der Boulevardpresse auswälzen oder sich in der musikalischen Belanglosigkeit in immer kleinere Hallen oder auf Bierfesten den Ruf kaputt machen, baut Rush immer noch auf ihr besonderes Image, sie seien eines des best gehüteten Geheimnisse im progressiven Rock. Jeder beinharte Rush Fan wird das bestätigen. Rush Fans bilden eine respektierte Gilde, die ohne viel sagen augenzwinkernd zusammen hält. Rush ist Ersatzreligion, hilft bei schlechten Lebenslagen und sorgt für feuchte Augen bei den Konzerten und reinigt die Psyche somit von schmutzigen Gedanken. Ihre geradezu perfektionierte und permanente Selbstverarsche läßt Peinlichkeit erst gar nicht aufkommen. Progbands wie Dream Theater aus der Frickelfraktion oder Art-Rocker der neuen Generation wie Muse können mit einem vollsaftigen und souveränen Rush-Auftritt nicht mithalten. Punkt. Das muß man einfach so feststellen.

     Kritisch angemerkt darf man aber feststellen, dass ihre
    neueren Werke nicht mehr die emotionale Tiefe der früheren
    Alben erreichen, die Band streitet das nicht ab und zelebriert
    stattdessen in bestem Futter kurz vor dem Erreichen des
    biblischen Musikeralters von 60 Lebensjahren ihren
    unglaublichen Backkatalog stets im neuen Gewand. Die aktuelle
    Tour, nach der letzten R-30 Tour um 2005 zum 30-jährigen
    "Bandjubiläum" trug jetzt den Titel "Time Machine", Bühne und
    Drumherum war im momentan angesagten Steampunk-Design gehalten.
    Die Band hat das legendäre Album "Moving Pictures" als
    besonderes Schmankerl komplett durchgespielt und das Konzert in
    der wunderschönen Frankfurter Festhalle dauerte exklusive
    Pausen satte drei Stunden.
Ich gehe davon aus, dass die bereits gespielten Songs vom neuen Album später auch im Steampunk-Design als Coverartwork erscheinen werden, ist ja momentan schwer angesagt, siehe In Extremo. Hüstel.
Unglaublich die Vielfalt an Fans! Typische Rush Nerds ("mein Shirt ist älter als deins") treffen auf Alt-Hippies, junge Musiker, Gothics (End Of Green war fast komplett anwesend) und Konzertshirt-Poser. Man las von Dredg über die Foo Fighters und Motörhead hunderte von Lieblingsbands auf den zur Schau getragenen Shirts. Mir bisher unbekannt aber war diese dubiose "Hilfiger"-Band, deren Träger aber noch ein "George Thorogood"-Shirt zur Jacke anhatte. :-)
     Die Show war grandios. Natürlich hat der technische Standart
    der drei Musiker mittlerweile unerreichbare Höhen erklommen,
    Nicht-Musiker finden aber am Groove der Band genauso ihr
    Gefallen. Bereits nach 18:30 Uhr startet die Band mit einem
    schönen Intro auf der Leinwand. Ich weiß nicht, welchen
    Standart die Kameras haben, mit der Bühnenbilder an dem Abend
    auf die riesige Leinwand projeziert wurden, aber die gestochen
    scharfen Bilder zeigen eine bisher von mir noch nie gesehene
    Schärfe. Hier läuft die technische Entwicklung natürlich gegen
    die Band. Damals noch jung und knackig wie bei meinem ersten
    Konzert in Böblingen 1981 sind die Musiker knapp 60 und jede
    Falte und jeder Altersfleck im Gesicht oder leicht angenagte
    Fingernägel der Musiker sind bei den Nah-Einstellungen deutlich
    zu sehen. Stört die Band aber nicht. Andere Musiker sind da
    eitel, Rush lachen darüber und tragen Shirts mit dem Wortlaut
    "Rash" (Geddy Lee) oder tragen ihre schütteren Haare Marke
    Mönchstonsur (Alex Lifeson) mit Würde. Lifeson ist nach wie vor
    der Clown der Band und schüttelt seine virtuosen Riffs und
    Solis wie gewohnt mit humorvollen Grimassen ins Publikum. Lee
    hat wegen des irrsinnigen Fundus an Songs auch immer einen
    Teleprompter vor sich für die Texte laufen, verständlich, da er
    ja singen, Keyboard und vor allem Bass spielen muß. dafür gibt
    es bei anderen Bands drei verschiedene Musiker, und deren Songs
    sind nicht halb so kompliziert wie die Monumente der Kanadier.
    Der Professor am Schlagzeug ist nach wie vor das Maß aller
    Dinge im modern drumming, wie immer mit Pokerface hinter seiner
    riesigen Schießbude mit Steampunk-Zahnraddesign unterwegs wie
    die Hölle. Wer weiß, dass vor Jahren kurz hintereinander seine
    erste Tochter (Autounfall) und Frau (Krebs) gestorben sind,
    wird das ernste Gesicht verstehen. Er setzte sich a'la Forrest
    Gump zur langen Reise in Bewegung, die Band wartete auf ihn und
    als die Zeit reif war, spielten die drei Freunde wieder
    zusammen. Ohne das auch fest geplant zu haben.

     Bühnenbild und Akustik wie immer perfekt. Die Band ist bekannt
    für ihren sparsamen aber witzigen Bühnenaufbau. Bass- und
    Gitarrenverstärker wurden aus humoriger Laune irgendwann mal
    ausgewechselt. Wo andere Bands ihre Marshalls und Ampegs stehen
    haben, wurde in der Vergangenheit ein Hähnchengrill ("...ich
    liebe den Geruch von Brathähnchen auf der Bühne" Lee) oder eine
    Wäschetrocknerbatterie ("Alex' Verstärker war immer eine
    riesige Mauer, und ich habe immer nur eine Kiste da stehen
    gehabt. Also habe ich mir Wäschetrockner auf die Bühne
    gestellt" Lee) installiert. Diesmal stand im Design der H.G.
    Wells-Verfilmung "Die Zeitmaschine" gehaltenes Gedöns auf den
    Brettern. Da dampfte es mal hier, mal da oder altmodische
    Anzeigearmaturen blinzelten zusammen mit blitzenden Röhren. Auf
    Geddys Seite leuchteten wahlweise nebeneinander die Anzeigen
    "Real Time", "Half Time", "Bass Time" und "Sausage Time". Bei
    letzterem kamen tatsächlich seitlich Würste aus der Apparatur.
    In der Pause strahlte mitunter die Jahreszahlanzeige an der
    Zeitmaschine auf Leinwand.
    
     Schön einmal wieder Songs wie "Camera Eye" zu hören! laut
    Erzfan Jürgen E. aus Fürth zum letzten Mal 1981 gehört...
    Unglaublich auch das Drumsolo vom Professor mit einer tollen
    Animation hinten auf der Leinwand: Ein Steampunk-Roboter mit
    krakenartigen Armen spielt synchron zu Pearts Solo vorne.
    Traditionell kommt auch plötzlich Personal auf die Bühne und
    holt die Würstchen ab, oder entstaubt Pearts Drumpodest mit
    einem Federbusch. Würde man alle Impressionen schildern wie
    etwa die Reggae Version am Schluß oder die satirischen
    Zwischenvideos (Tom Sawyer gespielt in allen Altersstufen von
    Affen, Urmenschen oder Rush als Kleinkinder inklusive Vokuhila)
    wäre man morgen noch am Schreiben. Das Tschüss-Video aber war
    toll, wo zwei Die Hard-Fans mit gefälschten Backtstagepässen
    (All Access mit dreimal "CCC") ins Aftershow-Catering
    eindringen und von der Band beim Sandwich-Klauen überrascht
    werden. Und dabei wollten sie ja nur ihre Doppelhalsgitarre
    signiert haben...

Prädikat: Anbetungswürdig und jeden Cent wert!
    
     Ewald Funk
      


