CD REZI SONGWRITERROCK
MARC O’REILLY
MORALITY MORTALITY
VIRGIN / UNIVERSAL
Es gab Zeiten, das hätte ich jeden erschossen, der mir mit dem
256. „superoriginellen“ Singer/Songwriter und der Bitte um
Rezension um die Ecke kommt. Warum rezensieren, wenn sie eh
alle gleich klingen? Mittlerweile ist die Anfragewelle aus
dieser Musikrichtung glücklicherweise abgeflacht, und nicht
jeder erfolglose Punkmusiker hängt sich die Akustische um, wenn
es elektrisch verstärkt geschäftlich nicht mehr so läuft.
Dieser Beißreflex bei Akustik-Musikergeheule durch Journalisten
lässt leider so manche Perle unter dem Tisch fallen, Marc
O’Reilly aber fiel mir beim ersten durchhören sofort auf. Für
den Rest des Tages verließ sein mit ganz viel Überzeugung und
Herzblut aufgenommenes Album „Morality Mortality“ meinen Player
dann nicht mehr, er hat einfach elektrisch verstärkte Musik
daraus gemacht. Der Titel ist ein schönes Wortspiel, zwei
Wörter, eines mit einem „t“ mehr, ergeben einen frei
interpretierbaren, neuen Sinn. Ist Moral sterblich? Oder liegt
zwischen tugendhaften Tun und dem Tod nur ein schmaler Grat?
Ist Moral bald ausgestorben? Musikalisch wird es interessant.
Der Ire hat nämlich für seine musikalische Karriere seine
Berufung als Arzt an den Nagel gehängt. Ist schon mal rein
finanziell und vom Risiko für den Lebensstandart ein fast
selbstmörderisches Unterfangen. Das Album ist zudem keine
anbiedernde Popmusik, sondern gewagt und hat sofort hörbare
Originalität, Dichte und Leidenschaft. Und vor allem viel
Laut-Leise-Dynamik. O’Reilly pendelt gerne zwischen leisen
Zupfpassagen, in denen man das Rutschen der Griffhand auf dem
Gitarrenhals deutlich hören kann, und ziemlich coolen
Energieausbrüchen mit E-Gitarre, vollem Bandsound und einem
leichten Indierock-Garage-Touch. Wer Ausnahmekünstler wie Ryan
Adams schätzt, liegt bei diesem Iren nicht verkehrt. Wenn ein
Album eine Straße wäre, dann wäre so manches Singer/Songwriter
Album eine stinklangweilige, kerzengeradeaus führende
Wüstenstraße, bei der man ständig Angst hat, vor Monotonie
einzuschlafen. „Morality Mortality” hingegen ist wie ein Trip
durch einen Nationalpark, wo man über Berge fährt, die Straße
mal holpert und dann nach der nächsten Kurve plötzlich ein
wunderschöner Ausblick auftaucht. Unschwer heraus zu lesen,
dass diese Scheibe das Zeug zum lohnenden Sammlerteil hat.
Ewald Funk
8 von 9 Punkten
