BOYSETSFIRE
DIE BRANDSTIFTER SIND ZURÜCK!
BOYSETSFIRE sind wieder da! Am 5. Oktober
2010 hat die wegweisende Post-Hardcore-Band aus Newark/Delaware
ihren zweiten Frühling angekündigt. Es folgten Konzerte in ganz
Europa, ein paar Besetzungswechsel und dieses Jahr ein neues
Album: „While A Nation Sleeps…“ Und die 13 Songs gehören wohl
zum Besten, was die Band je veröffentlicht hat. Folgerichtig
ist das neue Boysetsfire-Album heißer Kandidat für das
Hardcore-Album des Jahres.
Anfang Juni 2007 hatte die Band zwei Abschiedskonzerte in
Philadelphia gespielt und war danach jahrelang untergetaucht.
„Wir waren einfach total ausgebrannt“, erklärt Gitarrist und
Gründungsmitglied Joshua Latshaw die Gründe für den Split. „Wir
waren in einem echten Teufelskreis: Songs schreiben, aufnehmen,
touren, Songs schreiben, aufnehmen, touren usw. Es gab Streit
mit der Plattenfirma, Streit mit dem Management, Streit mit den
Promotern. Es war wirklich sehr anstrengend. Es ist, als ob man
verheiratet ist: Man kann nicht einfach in die Ferien fahren,
ohne sich mit irgendeinem abstimmen zu müssen. Und irgendwann
haben wir uns gefragt: Wie würde unser Leben wohl anders
aussehen? Vielleicht hätten wir einfach mal eine Auszeit nehmen
sollen. Aber wir machen eben nie die Sachen, die man machen
sollte. Also haben wir uns einfach aufgelöst und normale Jobs
gesucht.“ Josh arbeitet jetzt noch mit Behinderten, Veteranen
oder ehemaligen Obdachlosen und hilft ihnen Jobs zu finden. Der
zweite Gitarrist Chad Istvan hat sich auf die Reparatur von
Druckern spezialisiert und Sänger Nathan Gray hat als
Anstreicher das Geld verdient, das er für die Miete
brauchte.
Es gab aber auch in der Zeit ohne Boysetsfire Musik: Nathan
und Josh gründeten die Band The Casting Out, hatten sogar einen
Auftritt in der deutschen RTL-Soap „Gute Zeiten, Schlechte
Zeiten“, lösten die Band aber schon im Oktober 2010 wieder auf.
Es folgte die Wiedergeburt von Boysetsfire und das neue Album,
das auf Nummer 22 in die deutschen Album-Charts schoss. „Mein
erster Gedanke war: Mann, die Leute kaufen wohl keine Platten
mehr!“, sagt Josh und lacht laut. „Nein, im Ernst. Es ist
wirklich erstaunlich, dass eine kleine Band aus Delaware mit
der Hilfe von guten Freunden aus Deutschland so etwas erreicht.
Auch dank der Hilfe von Oise Ronsberger, dem Sohn eines
Schweinezüchters. Wir haben alles zusammen mit ihm gemacht und
sind in den Charts gelandet. Wir hatten keine großartige
Medienunterstützung, kein großes Label, nur uns selbst. Es
beweist, dass noch gute Dinge passieren!“ Oise Ronsberger, den
ehemaligen Bassisten von Red Tape Parade, kennen Boysetsfire
schon seit Jahren. Er war Fahrer bei der dritten Europa-Tour
von Boysetsfire, dann wurde er irgendwann Tourmanager und
begleitet die Band seitdem in Europa, USA und inzwischen sogar
in Australien.
Gemeinsam mit Oise haben Boysetsfire in Deutschland das Label End Hits Records gegründet, das als Plattform für alle Veröffentlichungen in Europa dient. „Wir arbeiten nur noch mit Leuten zusammen, die wir Familie nennen“, sagt Josh. „Wir haben also eine Familie in Deutschland und eine Familie in den USA. Ich würde Oise mein Leben anvertrauen. Wir haben gemeinsam dieses Label gegründet, weil sich niemand um unsere Musik so kümmert wie wir. Nach einiger Zeit gibt man auf, jemanden dazu zu bringen, etwas zu tun. Man muss es einfach selbst machen.“ Boysetsfire haben in ihrer Bandgeschichte eine Menge Erfahrungen mit Labels gesammelt: große Unternehmen wie Wind-Up Records oder gestandene Indie-Labels wie Victory Records oder Burning Heart Records. Und jetzt wollen sich die Jungs aus Delaware einfach nicht mehr auf externe Partner verlassen müssen. Deshalb das eigene Label End Hits Records. Und der Erfolg gibt Boysetsfire Recht. „Es ist wirklich verrückt!“ erzählt Sänger Nathan. „Es gibt Fans, die mehr als eine Kopie kaufen, nur um uns zu unterstützen. Das habe ich noch nie erlebt! Mir hat einer geschrieben: Habe gerade drei Platten von euch gekauft! So viele brauche ich eigentlich nicht, aber ich will euch einfach unterstützen! Das macht uns immer wieder sprachlos! Es haut mich einfach um, dass wir den Leuten so wichtig sind.“
„Das Interessante ist, dass die physischen Verkäufe – also Vinyl und CDs – die Downloads locker abhängen“, fügt Josh hinzu. „Das beweist, dass wir eine optimale Verbindung zu unseren Fans haben. Wir sind nicht wie Korn, die hinter goldenen Mauern leben. Denen wird die Musik geklaut. Wir haben eine Gemeinschaft mit unseren Fans und diesen Wert haben die meisten Plattenfirmen nicht erkannt. Die wollen ihre Kunden einfach nur abzocken. Jetzt können die Leute wählen: Möchte ich die Band unterstützen oder mir einfach nur ihre Musik abgreifen? Dabei war es nie unser Plan oder gezielte Strategie, besonders nett zu unseren Fans zu sein.“ Allerdings hatten Boysetsfire schon immer den Ruf, sich auch für die Belange Dritter zu engagieren. Im März hat die Band zwei Benefizkonzerte für das von der Schließung bedrohte Jugendcafé Zwiesel im Bayerischen Wald gespielt. Bei den beiden Shows in der Bürgerhalle Frauenau kamen fast 10.000 Euro zusammen. „Jeder von uns hatte diesen einen Ort, ein Jugendzentrum oder einen kleinen Club, der extrem wichtig war“, erzählt Josh über die Verbindung nach Zwiesel. „Man war 14 Jahre alt, hatte Ärger zuhause, hat überall angeeckt und findet dort Freunde und Menschen, die einen unterstützen. Oise kam zu uns und hat gesagt: Dieser Club hat mein Leben gerettet und muss vielleicht schließen. Könnt ihr helfen? Und keiner von uns hat auch nur einen Augenblick gezögert. Und es hat funktioniert. Es ist genug Geld zusammengekommen. Das ist doch phantastisch! Wir sind glücklich darüber.“
Ganz nebenbei ist bei den Shows für das Jugendcafé in Zwiesel auch das Video zu „Closure“, dem vielleicht stärksten Song auf dem neuen Album entstanden. Ein toller, in schwarz-weiß gehaltener Clip, der das besondere Verhältnis der Bandmitglieder zueinander und zu den Fans optimal einfängt. Ein Clip, der zeigt, warum es Boysetsfire überhaupt wieder gibt. „Wir haben es einfach vermisst! Ganz ehrlich: Es gibt nichts Besseres, als mit diesen Jungs auf der Bühne zu stehen. Uns haben die lustige Zeit auf Tour und die Kameradschaft gefehlt“, sagt Josh und bringt den Grund für die Reunion auf den Punkt. „Eine Reunion-Tour ist okay. Eine zweite geht gerade noch. Aber keiner von uns wollte zu einer Art Sommer-Zirkus mutieren. Also wollten wir so schnell wie möglich neue Aufnahmen machen. Aber keiner wusste, ob wir überhaupt noch Songs schreiben können. Es hat sich aber sehr schnell herausgestellt, dass es noch funktioniert. Ursprünglich sollte es nur eine EP sein, um die Sache langsam anzugehen. Und Oise hat uns dann überzeugt, ein ganzes Album zu machen. Wir können einfach gut mit dem Druck von Fristen umgehen. Oise hat uns einen knallharten Zeitplan vorgelebt und das hat uns geholfen. Dieses Album war also ganz einfach und organisch. Für andere Platten haben wir Jahre gebraucht. Diesmal haben wir einfach gesagt: Das hauen wir jetzt so raus! Es ist eine Punkrock-Platte! Wir sind nicht die Beatles!“ Ganz ehrlich: Wer will denn noch die Beatles hören, wenn er Boysetsfire hat? Oder I Am Heresy? So heißt das Nebenprojekt, in dem BSF-Sänger Nathan mit seinem Sohn Simon gemeinsame Sache macht.
Ursprünglich war sogar noch Jonah, der Sohn von BSF-Gitarrist Josh dabei, der ist aber aus beruflichen Gründen ausgestiegen. Ende Februar haben I Am Heresy ihr selbstbetiteltes Debüt-Album ebenfalls über End Hit Records veröffentlicht und Nathan genießt die Zeit mit seinem Sohn. „Es ist natürlich ungewöhnlich“, sagt er. „Aber Josh und ich haben eher ungewöhnliche Beziehungen zu unseren Söhnen. Sie sind nicht nur unsere Söhne, sondern auch Freunde. Es ist also, als ob dir deine Freunde sagen, was du tun musst, haha! Es ist einfach schön, ihn auf Tour dabei zu haben, zusammen mit ihm Musik zu machen, neue Sachen zu entdecken, Songs zu schreiben. Es ist cool! Ich liebe diesen Kerl einfach, also mag ich es, wenn er in meiner Nähe ist!“ Eine ungewöhnliche Band mit einer ungewöhnlichen Besetzung.
Ähnlich gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass
Boysetsfire zwei Bassisten in ihren Reihen haben: einen für
Europa, einen für die USA. Robert Ehrenbrand aus München, der
im August 2011 seinen Ausstieg bekanntgab und im Dezember 2012
dann wieder revidierte und Chris Rakus, langjähriger BSF-Roadie
und Bassist bei The Casting Out. „Wir lieben Robert, aber es
ist sehr hart für ihn, in den Staaten immer dabei zu sein“,
erklärt Josh die besondere Situation. „Wenn wir also für ein
Wochenende unterwegs sind, müsste er seine Familie für eine
ganze Woche verlassen und eine Menge Kohle für die Flüge
hinblättern. So könnten wir also nie in den Staaten spielen,
das wollen wir aber natürlich auch machen. Deshalb haben wir
nach einer guten Lösung gesucht. Und die sieht so aus: Robert
spielt, wenn er kann, und die anderen Shows macht Chris. Beide
gemeinsam waren bei den Aufnahmen für die Platte dabei. Bei uns
ist nichts in Stein gemeißelt und wenn alle wollen, können wir
immer irgendwie zusammenarbeiten.“ Die Story von Boysetsfire
geht also weiter. Anfang Oktober stehen drei weitere Shows in
Dortmund, Stuttgart und Hamburg auf dem Programm. Und dann
wedelt Oise wahrscheinlich schon wieder mit dem nächsten
Studiotermin…
Wolfram Hanke