ALTERNATIVE ROCK
ERIK COHEN
NOSTALGIE FÜR DIE ZUKUNFT
RYL NKR RECORDINGS / ROUGH TRADE
Sucht man in der deutschsprachigen Rockmusik nach
eigenständigen Perlen, wird man nicht so oft fündig. Früher gab
es Lindenberg, Ton Steine Scherben, danach Westernhagen.
Zeitweise waren das dann Springsteen-ähnliche Rockbarden wie
BAP oder Wolf Maahn. Nach der Wende ging es um Härte und
Provokation, und mit Rammstein wurde die Neue deutsche Härte
geboren. Um zu leben machte dann der Graf unheilige Popmusik
für die Massen, während das Genre „Deutschrock“ mittlerweile
von gesinnungstechnisch rechtslastigen Kombos als Sammelbegriff
okkupiert wurde. Für mich war das lange Zeit ein Schimpfwort,
wird Zeit, dass sich was dreht und der Deutschrock wieder
sauber wird. Der Kieler Erik Cohen liefert zum dumben
Rechtsrock einen sehr norddeutsch angehauchten Gegenentwurf. Er
nannte sich früher Jack Letten und war einer der Köpfe bei der
legendären Deathpunk-Band Smoke Blow. Da die Band in Frührente
ging, möchte Cohen, so wie er sich jetzt nennt, eine eigene
Marke kreieren. Und bastelte drei Jahre an „Nostalgie für die
Zukunft“, um einen neuen Entwurf für deutschsprachige Musik zu
entwerfen. Und das Debut unter neuem Namen geht tüchtig nach
vorne los. Wie ein schwerer Hafenschlepper unter Dampf pusten
die ersten Songs nach vorne und umschmeicheln meine Ohren im
altbekannten Sisters Of Mercy-Stampfythmus. Dazu singt er
stimmungsvolle Texte, malt mit den Worten Geschichten rund um
die Blickpunkte seiner Wohnung am Kieler Hafen inklusive ein
bisschen Bikerromantik. Mir gefällt dieser neue Entwurf sehr
gut, weil mich der fette Wumms an The Cult oder Killing Joke
erinnert. Ich bin glücklich, dass es kein Peter Maffay geworden
ist! Tausende von Scheiben wird Erik trotz aller
Eigenständigkeit und Qualität damit nicht absetzen, das
besorgen gerade die Broilers, die sich ja gerade unter der
Schirmherrschaft der Toten Hosen-Company jkp mit bescheidenen
Gesangseinlagen und etwas arg simplen Texten nach oben spülen
lassen. Vielleicht ist unter dem Rettungsschirm für Herrn Cohen
noch ein Platzerl frei? Der Präsi der örtlichen Turbojugend
sagt jedenfalls zu Eriks Platte: „Bowie, Selig, Wirtz und Udo
Lindenberg lassen grüßen. Könnte aber auch ein rockender
Gewinner einer x-beliebigen Casting Show sein. Kann mich noch
nicht so richtig entscheiden, ob ich’s gut oder scheiße finden
soll, im Zweifel aber für den Angeklagten... ein interessantes
Album ist es auf alle Fälle, in das man schon mal hineinhören
und sich seine eigene Meinung bilden sollte.“ Word!
EF