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MC RENÉ: ALLES AUF EINE KARTE, EIN OBDACHLOSER MC - DER ICE IST SEIN ZUHAUSE

Zimmermannsgesellen gehen auf die Walz, sie verzichten freiwillig auf alles und suchen sich unterwegs Arbeit, sie dürfen sich nach alter Tradition dem Heimatort über einen langen Zeitraum auch nicht nähern. So ähnlich funktioniert das Einkommensmodell des Deutsch-Hip Hoppers MC René, der über seine persönliche Walz ein Buch schrieb. Unser Schreibhengst Wolle hat ihn kürzlich interviewt. Hier sein Bericht:
MC RENÉ: ALLES AUF EINE KARTE, EIN OBDACHLOSER MC - DER ICE IST SEIN ZUHAUSE

Obdachlos im ICE

In den Neunziger Jahren war MC Rene im Deutsch-Hip Hop eine ganz große Nummer. Auf der Bühne stand er gemeinsam mit Rappern wie Fettes Brot oder Absolute Beginner. Er hatte einen Vertrag bei einem Major-Label und sogar eine eigene Sendung beim Musiksender VIVA. Aber der ganz große Durchbruch blieb aus und das Geld wurde immer knapper. Deshalb musste der Braunschweiger Rapper zwischenzeitlich sogar zwei Jahre lang in einem Call-Center arbeiten, um seine Miete bezahlen zu können. Im April 2010 hat Rene el Khazraje, so heißt er bürgerlich, seine Wohnung gekündigt und seine Einrichtung verschenkt. Dann hat er sich eine Bahncard 100 gekauft und ist seitdem permanent mit dem Zug unterwegs - mit dem Ziel, sich selbst vom Rapper zum Stand-Up-Comedian umzuschulen. Am 2. Mai ist im Rowohlt Verlag sein Buch "Alles auf eine Karte – Wir sehen uns im Zug" erschienen, in dem er von seinen Erfahrungen auf den Gleisen der Republik erzählt.

Rene ist zur Zeit überall und nirgendwo. Und seine Eintrittskarte in die Welt aus Bahnsteigen, Gleisen und Wartesälen heißt Bahncard 100. Für knapp 4.000 Euro hat er sich dieses exklusive Ticket gekauft und kann damit in der zweiten Klasse ein Jahr lang kreuz und quer durch Deutschland fahren – wohin er will, wann er will, sooft er will – ohne dafür eine Fahrkarte zu lösen. Die Entscheidung für das Leben als „Obdachloser im ICE“ fiel nicht schwer. „Ich habe zu dieser Zeit im Call-Center gearbeitet und gedacht, dass kann es nicht gewesen sein“, erklärt Rene seine Entscheidung. „Dann habe ich beschlossen, mich von diesem Leben zu befreien. Ich hatte die Idee, mit dem Zug zu reisen und Abenteuer zu erleben. Ich wollte meine Geschichten erzählen und mich vom Leben inspirieren lassen. Aber ich konnte mir die Bahncard 100 nicht leisten und gleichzeitig meine Wohnung aufrecht erhalten.

Also habe ich die Entscheidung getroffen, die Wohnung aufzugeben, alles zu verschenken, alles auf eine Karte zu setzen und loszuziehen.“ Gesagt, getan. Der Mann, der in den Neunzigern tausende Fans mit seinen Freestyle-Raps begeistert hat, wollte als Comedian noch mal ganz von vorn anfangen. Aber auch, um auszuprobieren, was aus dem Urlaubsgefühl wird, wenn man kein Zuhause mehr hat und ob drei Stühle wirklich bequemer sind, als eine Designercouch. „Manchmal habe ich im Zug geschlafen“, erzählt Rene. „Wenn ich in Hamburg einen Comedy-Auftritt hatte und am nächsten Tag in Karlsruhe, bin ich einfach mit dem Nachtzug gefahren. In vielen größeren Städten habe ich Freunde und Bekannte, die mir eine Couch angeboten haben. Manchmal stand ich auch einfach am Gleis und hatte überhaupt keine Möglichkeit, dann habe ich irgendwelche Leute kennengelernt, ihnen meine Geschichte erzählt und oft sehr viel Sympathie geerntet. So hat sich dann auch der eine oder andere Pennplatz ergeben.“

Rene könnte stundenlang von skurrilen Begegnungen erzählen, von der Gefühlslage, beim Selbstversuch mit Anfang Dreißig nochmal auf Reisen zu gehen und von dem sagenumwobenen, angeblich gleichgesinnten Bahn-Vagabunden, dem er allerdings nie begegnet ist. „Ich habe nicht nur Hip Hopper kennengelernt, die mich wegen meiner Vergangenheit noch kennen“, sagt Rene, „sondern auch ganz normale Menschen. Ich habe schon bei Zahnärzten, Rechtsanwälten oder Bauarbeitern übernachtet. Im Laufe der zwei Jahre habe ich mir auch meine Oasen geschaffen. Es gibt besondere Menschen, bei denen ich mich zurückziehen kann, wenn ich mal die Schnauze voll habe vom Zugfahren. Ich kann jederzeit meine Familie in Braunschweig besuchen, wo ich ein paar Tage entspannen kann. Ich bin aber eher ein unternehmungslustiger Vagabunden-Typ, deshalb muss ich relativ schnell wieder los.“ Offiziell ist Rene noch in seiner alten Wohnung gemeldet – zumindest fürs Amt.

In Wirklichkeit spielt sich sein Leben größtenteils auf den Schienen ab. Kontakt zu Freunden und Familie hält er über Handy und Laptop. „Ich habe meinen Namen auf den Briefkasten meines Nachbarn geklebt, mit dem ich mich sehr gut verstehe,“ erzählt er. „Da kommt meine ganze Post an, Telefonrechnung, Versicherung usw. Momentan überlege ich, ob ich mich bei meiner Mutter in Braunschweig anmelden soll, aber das habe ich noch nicht getan. Ich bin also seit über zwei Jahren ohne feste Wohnung unterwegs. Und das soll auch weitergehen, so lange es mir Spaß macht.“ Ende der Neunziger Jahre hat schon einmal ein prominenter Rapper ein ähnliches Projekt gestartet: Thomas D von den Fantastischen Vier. Der Stuttgarter war ein Jahr lang mit dem Wohnmobil kreuz und quer durch Europa unterwegs. Er hat auch seine Plattensammlung versteigert, seine Wohnung aufgelöst, hat das Nötigste gepackt und ist einfach losgezogen - auf der Suche nach sich selbst. „Thomas D war zum diesem Zeitpunkt schon ein erfolgreicher Künstler und hatte eine gewisse finanzielle Sicherheit,“ sagt Rene. „Als ich den Anker gelichtet habe, hatte ich keinen doppelten Boden. So nach dem Motto: Wenn es nicht klappt, habe ich ja immer noch meine Millionen auf dem Konto! Das ist der Unterschied!  Ich kenne Thomas D persönlich und fand seinem Trip sehr faszinierend. Das war natürlich eine Inspiration, aber nicht ausschlaggebend für mein Projekt.“

Als Comedian hat MC Rene ganz unten angefangen. Er hat in Fußgängerzonen gespielt und ist in kleinen Kulturzentren aufgetreten. Die Ochsentour, würde man bei Musikern sagen. Und profitiert hat er dabei von seiner ersten Karriere als Rapper. „Das spontane Improvisieren und mit Menschen Kontakt aufnehmen hat mir sehr geholfen. Wenn mir nichts mehr eingefallen ist, habe ich die Leute nach ihrem Tag gefragt. Dann habe ich mir ein paar Notizen gemacht und den Leuten spontan ihren Tag vorgerappt. Also wenn alle Stricke reißen, kann ich natürlich immer auf meine Musik zurückgreifen. Und diese Mischung ist im Comedy-Bereich natürlich neu.“ Die ersten kleinen Erfolge geben ihm recht. Bei der TV-Comedy-Format „Nightwash“ stand er schon mehrfach auf der Bühne und der renommierte Rowohlt Verlag hat jetzt seine Bahn-Abenteuer als Taschenbuch herausgebracht. Konsequent präsentiert Rene das Werk auf einer Lesetour durch Bahnhofsbuchhandlungen. „Ich erzähle den Leuten, was ich erlebt habe. Und in Zukunft will ich nicht nur lesen, sondern auch ein bisschen Comedy machen, rappen und das Ganze noch offener gestalten. Und im Sommer, wenn wegen der Fußball-Europameisterschaft sowieso nicht so viel los ist, werde ich weiter an meinem Comedy-Programm feilen. Ich bin gerade mal zwei Jahre dabei, das ist eigentlich nichts. Die meisten Comedians sind seit 10 Jahren unterwegs.“

Mit der Rap-Musik ist es für Rene irgendwann nicht mehr weiter gegangen. Trotz großer Anerkennung in der Hip Hop-Szene hatte der Rapper aus Braunschweig nie den Durchbruch geschafft. Im Rückblick war er daran selbst nicht ganz unschuldig, sagt er. „Ich habe schon immer mein eigenes Ding gemacht und war auch ein bisschen dickköpfig. Musik habe ich nicht gemacht, um damit erfolgreich zu sein. Deshalb hatte ich natürlich auch nicht die großen Hits. Und irgendwann ging es eben nach unten und ich musste der Realität ins Auge blicken. Aber ich habe mich schon immer woanders gesehen, weil ich auch als Rapper eher ein Paradiesvogel war. Der Rapper, der sich selbst nicht so ernst nimmt. Und dann habe ich als Konsequenz in Kauf genommen, nicht den großen Erfolg zu haben. Ich habe die Musik nie wegen dem Geld gemacht, sondern weil das meine Leidenschaft ist. Ich habe auch nie besonders kluge Entscheidungen getroffen, was das Business angeht. Und irgendwann dachte ich, jetzt ist es mal Zeit für etwas anderes. Du erzählst doch auf der Bühne sowieso so viele Geschichten und die Leute lachen. Warum nicht einfach Comedy?“

Seine alten Fans reagieren äußerst positiv auf den neuen Rene. Und auch das eher ältere Kabarett-Publikum kann sich auch inzwischen für den neuartigen Wortschwall aus Witzen und Raps erwärmen. Auch wenn es am Anfang ein bisschen schwierig war. „Ich schließe es nicht aus, dass ich auch wieder Musik mache“, blickt Rene in die Zukunft. „Zu meinem Buch habe ich ja auch einen Rap-Song geschrieben. Das Video kann man auf meiner Homepage sehen. Der Rap wird also immer bleiben, die Musik ist meine erste Liebe. Aber ich möchte eben das machen, wonach ich mich gerade fühle. Hauptsache, es ist authentisch.“

Wolfram Hanke